Carlos hat viele Namen. Der Schakal gehört nicht dazu.

Zur Geschichte von „Carlos“: Illich Ramírez Sánchez wurde auch der berühmteste Terrorist, weil er das Spiel mit den Medien beherrschte.

Berüchtigt ist er als „Carlos, der Schakal“. Doch der Beiname ist ein Medienmythos: Der „Guardian“ gab dem Terroristen den Spitznamen, als bei der Hausdurchsuchung in seinem Versteck 1975 ein Exemplar von Frederick Forsyths Thriller „Der Schakal“ über den Attentatsversuch auf de Gaulle gefunden wurde. Das Buch gehörte aber einer der vielen Geliebten des Terror-Playboys Carlos.

Selbst Carlos ist ein Pseudonym, ein nom de guerre, den der angehende Terrorist Illich Ramírez Sánchez 1973 im Trainingslager der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP) bekam. Papa Sánchez, ein marxistischer Anwalt aus Venezuela, benannte seine drei Söhne nach einem großen Kommunisten: Wladimir, Illich, Lenin. Illich wurde 1959 mit zehn Jahren Mitglied der jungen KP in Caracas, elf Jahre später flog er von der Patrice-Lumumba-Universität in Moskau, wegen „ausschweifenden Lebensstils“. Schon 1966 verbrachte er eventuell den Sommer in einer Guerilla-Schule auf Kuba: Vieles in Carlos' Lebenslauf ist nicht genau zu belegen, weil er sich gern mit allen möglichen Taten brüstete. Er soll mindestens 83 Menschen auf dem Gewissen haben, in lebenslanger Haft ist er für die Ermordung zweier Polizisten und eines Informanten in Paris 1975.

Kein Wunder, dass Olivier Assayas für sein Filmporträt „Carlos“, in dem der Name „Schakal“ nie fällt, auf Fakten zurückgreift, wo es geht: Er schildert die Wege von Carlos und seinen vielen Kontakten bis zu jener Pariser Schießerei 1975, samt PFLP-Ausbildung und Panzerfaust-Attacke auf El-Al-Flugzeuge in Orly. Zentralteil ist die packende Rekonstruktion der Opec-Geiselnahme 1975, als Carlos mit seinem Team die Opec-Führungskonferenz im Wiener Hauptquartier stürmte und 60 Geiseln nahm. Nach dreitägiger Belagerung wurden Entführer und Entführte ausgeflogen: Doch scheiterte das Unternehmen, die PFLP schloss Carlos aus, weil er die Ölminister der Saudis und des Irak nicht auftragsgemäß exekutiert hatte – dafür behielt er angeblich einen Teil des Lösegelds.

Es folgte Carlos' zweite Karriere als Söldner, der mit deutschen Terroristen kooperierte und seine Dienste zwischen den Fronten des Kalten Kriegs feilbot, schließlich untertauchte und – passend für den Narziss und Weiberhelden – bei einer Operation zur Entfernung einer Krampfader am Hodensack im Sudan verhaftet wurde. Dass „Carlos“ der beste Film der jüngeren Terrorwelle ist, liegt neben der inszenatorischen Überlegenheit auch an der Schilderung von Carlos' Spiel mit den Medien, für die er sich als Popstar des Terrors inszenierte. So wurde er zum berühmtesten Terroristen – bis zu 9/11. Und noch immer sucht er Anschluss an Trends: In der Haft schrieb er das Buch „Revolutionärer Islam“ und trat zum muslimischen Glauben über. Er hat auch schon wieder einen neuen Namen: Salim Muhammad.

E-Mails an: christoph.huber@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2010)

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