Die Praxis der Unbildung

Warum demonstrieren Studenten und akademische Funktionäre ausgerechnet auf dem Wiener Ring und im Audimax für mehr Geld? Das Geld, das wir für die Bildung brauchen, wäre ganz woanders zu finden. Tipps eines Insiders.

Mit der „Theorie der Unbildung“ hat Konrad Paul Liessmann eine Grundlage für die praktische Beobachtung geschaffen, die es zu überprüfen gilt. Schließlich: Nichts ist für die Praxis so wichtig und wertvoll wie eine gute Theorie. Ein aktueller Anlass, um die Tauglichkeit der Theorie zu testen, sind die Proteste im Bildungsbereich, ausgelöst durch die mageren Finanzmittel, die man diesem Sektor zur Verfügung stellt.

Die reichen schon längere Zeit nicht mehr aus, um das Notwendigste sicherzustellen. Lektoren müssen, wenn sie überhaupt etwas bekommen, zu einem Hungerlohn arbeiten, dafür wurde im Gegenzug die Verwaltung aufgebläht. Während die Unis ausgehungert werden, weiß man an dem einst als „Eliteuni“ in Maria Gugging auf Betreiben der Großindustrie mit öffentlichen Mitteln eingerichteten Institute of Science and Technology nicht, wohin mit dem Geld, und betreibt 30 Jahre nach Konrad Lorenz Forschungen, die dieser um einen Bruchteil genau auf der anderen Seite des Berges in seinem Aquarium mit viel Geist und Witz und weniger Arroganz betrieben hat.

Nun, die Verantwortlichen der Universitäten haben sich sowohl dieses wie auch das Universitätsorganisationsgesetz der Frau Bundesministerin Gehrer mehr oder weniger widerspruchslos gefallen lassen. Schon damals hätte man demonstrieren müssen. Wer zu spät kommt, den bestraft die Geschichte.

Heute ziehen Studenten, Professoren und Rektoren über den Ring in Wien, um auf den Geldmangel in ihren Anstalten aufmerksam zu machen, und besetzen das Audimax, in der Hoffnung, dann mehr Geld zu bekommen. Dass die Regierung dafür wenig Verständnis hat, beweist sie durch ihre Kommentare zu diesen Aktionen. Wenn alle sparen müssen, Kürzungen auf sich nehmen und sich mit Abstrichen im Sozialsystem abzufinden haben, dann sollen sich die Studenten und Universitäten glücklich schätzen, dass man ihnen 80 Millionen Euro mehr gewährt. Eine scheinbar zwingende Logik, die sich aus dem Zustand der fortschreitenden Unbildung, die auch von den Studenten erwartet wird, zu ergeben scheint.


In der Literatur findet man
die sogenannten Elementarkompetenzen eines gebildeten Menschen, Wissen, Denken und Kommunikationsfähigkeit, oft dargestellt als gleichseitiges Dreieck. Wissen umfasst dabei die Wissensinhalte, das Denken hingegen die unterschiedlichen Strategien des Erkenntnisgewinns wie Problemlösen, Beschreiben, Erklären, Interpretieren. Unter Kommunikationsfähigkeit kann in diesem Zusammenhang die Fähigkeit eines Menschen verstanden werden, seine Gedanken, Ideen, Thesen anderen transparent zu machen und umgekehrt sich in die Gedankenwelt anderer aktiv hineinzuversetzen.

Wenn in unseren Bildungseinrichtungen zumindest Letzteres vermittelt worden wäre, bräuchte man nicht zu demonstrieren und um Geld zu betteln. Man hätte die Regierung, vorausgesetzt, sie besteht aus Gebildeten, wohl mit überzeugenden Argumenten von der trivialen Tatsache überzeugen können, dass eine Investition in die Jugend eine Zukunftsinvestition sei, behaupten doch das die Regierenden in ihren Sonntagsreden selbst. Man kann doch annehmen, sie wissen, wovon sie reden, oder? Entweder können sich die Universitäten nicht artikulieren – es fehlt die Kommunikationsfähigkeit –, oder das Problem liegt bei den Regierenden. Dann ist die Antwort auf der elementaren Ebene des Bildungsdreiecks und den verbliebenen Elementarkomponenten zu suchen, ganz zu schweigen von den höheren Ansprüchen, die sich im wechselvollen Laufe der Entwicklung des Bildungsbegriffes eingestellt haben.

Warum demonstrieren Studenten und akademische Funktionäre am Ring und im Audimax für mehr Geld? Weder am Ring noch im Audimax ist das Geld zu finden, das wir für die Bildung – oder zumindest für die Ausbildung – brauchen. „But where is the money?“, wäre daher die logische Frage, die sich selbst der intelligente, nicht akademisch gebildete Bankräuber stellen wird, wenn er es dort nicht findet, wo er es erwartete. Wo hat die Regierung das Geld hingetan, das wir dringend für die Bildung brauchen, die ja, was unbestritten ist, wohl mit Abstand die wichtigste Zukunftsinvestition eines Staates zu sein hätte. Dass es die 80 Millionen, mit denen die Regierung unsere Universitäten abspeisen will, nicht sein können, hat die Jugend sofort erkannt. Viel mehr Geld ist für die Bildung, die ja nach der Verwüstung der Bildungslandschaft erst wieder mühsam aufgebaut werden muss, notwendig.

Man braucht nicht lange zu suchen und findet Unsummen an Geld, die von der Regierung in das, was diese vermutlich als die beste Zukunftsinvestition betrachtet, gesteckt werden. Einige Tage vor der Budgetklausur hat die Frau Infrastrukturministerin gemeinsam mit dem Finanzminister 1,2 Milliarden Euro für den Weiterbau eines Loches durch einen Berg, den man Koralm nennt, an Schulden aufgenommen und ausgegeben. Ein Projekt für einen aus verkehrsplanerischer Sicht sinnlosen und aus verkehrswirtschaftlicher Sicht unverantwortlichen Tunnelbau. 1,2 Milliarden Euro: Das ist ziemlich genau das 15-fache des Betrags, mit dem man die Universitäten beruhigen will.

Und damit nicht genug. In der Regierungsklausur, wo man die zahlreichen Belastungen für Familien, Autofahrer, Bankkunden, bedürftige und alte Menschen beschlossen hat, wurde gleich noch eine weitere Milliardenvergeudung im „Kleingedruckten“ als Zukunftsinvestition beschlossen: der Semmering-Basistunnel. Der war schon seinerzeit nicht finanzierbar, als er noch vier Milliarden Schilling, also rund 300 Millionen Euro, kostete. Heute soll er sich aber rechnen, wo er das Zehnfache braucht (was man schon damals gewusst hat). Familien sind für die Zukunft unseres Landes nach Meinung der Regierung offensichtlich weniger wichtig, weshalb man ihnen weniger Geld zur Verfügung stellt, damit man Milliarden an Schulden machen kann, um möglichst lange Löcher durch Berge zu bohren.

Wer gebildet ist, wird auch hellhörig, und dem fällt es auf, dass Bernhard Felderer, Chef des Instituts für höhere Studien, in seinen dosiert wohlwollenden Kommentaren zum „Sparpaket“ plötzlich den Semmeringtunnel als „wichtigstes“ Projekt – ohne gefragt worden zu sein – erwähnt. Genau jener Professor Felderer, der für den Koralmtunnel das Gutachten gemacht hat, aus dem die angebliche Sinnhaftigkeit und Wirtschaftlichkeit hervorgehen sollte.

Dieses Gutachten wird aber der Öffentlichkeit nicht zur Verfügung gestellt, ist wohl ein Geheimgutachten, wiewohl mit öffentlichen Mitteln bezahlt. Freilich, selbst ein geheimes Gutachten bleibt nicht so geheim, dass man nicht auf geheimnisvolle Weise eine Kopie davon erhalten könnte. Und dieses Gutachten, das ja das Fundament für den Koralmtunnel sein soll, zeigt bei Tageslicht nicht einmal die Tragfähigkeit eines Salzburger Nockerls. Es hält keiner fachlich soliden Prüfung stand.

Die Demonstrationen um mehr Geld für Bildung fanden offensichtlich am falschen Ort statt. Die Regierung und mit ihr die Tunnelbaukonzerne mit ihren Managern und Bankern werden sich einen Ast abgelacht haben, als sie sich diese Demonstrationen im Fernsehen anschauten. Ihre Kommunikationsfähigkeit – eine Elementarkompetenz von Bildung – war jener der geballten akademischen Bildung um Größenordnungen überlegen.

Und das fängt schon mit dem Bildungsbegriff an. Während an den Unis und im „Club 2“ um diesen Begriff noch wacker akademisch gestritten wird, haben die Vertreter der Lobbys durch jahrzehntelange intensive Erfahrungen gelernt, dass man hier vor allem mit der „Bildung der Regierung“ einen entscheidenden Schritt setzen muss, um erfolgreich zu sein. Regierungsmitglieder, die dem alten Bildungsbegriff anhängen, der sich mit dem der Universitäten im besten Sinn deckt, sind dafür ungeeignet. Für die Milliarden der Tunnelbauten, ob durch Berge oder unter der Donau, braucht es die richtige Mischung bei der Bildung der Regierungen.

Einer der fähigsten Manager der Baukonzerne, der ehemalige Generaldirektor der Firma Porr, Herr Diplomingenieur Pöchhacker, hat sich schon in der Regierung Kreisky um den Semmeringbasistunnel bemüht und ist jahrzehntelang an gebildeten Politikern gescheitert, die nicht einsehen konnten, dass diese Tunnelbauten die wichtigsten Zukunftsinvestitionen der Republik wären. Verzweifelte Gutachten wurden erstellt, etwa zur Süd-Ost-Spange oder „Kukuruzbahn“ durch und über die Hügel des Burgenlandes und der Oststeiermark. Von der blieb als Rest nur der Koralmtunnel übrig.

Das Gutachten von Elektrowatt, einem Schweizer Büro, das hätte nachweisen sollen, dass für den Taktknoten Bruck an der Mur ein Basistunnel unter dem Semmering unbedingt notwendig sei, funktionierte nicht so wie gewünscht. Die biederen, ehrlichen Schweizer haben leider nachgewiesen, dass der Taktknoten Bruck an der Mur ohne diesen Tunnel bestens funktioniert.

Das danach folgende Gutachten zu diesem Tunnel, ebenfalls von einer Schweizer Firma erstellt, hielt nicht einmal der kritischen Analyse einer Diplomarbeit stand. Dies hinderte den damaligen Generaldirektor der ÖBB, Helmut Draxler, aber nicht daran, beim parlamentarischen Hearing zu behaupten, dass die Energieeinsparung durch die Tunnelfahrt statt über den Berg jener von 600.000 Haushalten gleichkommt. Noch ein paar solche Tunnels – und die Energieversorgung Österreichs ist für alle Zeiten gesichert. Nie wieder brauchen wir ein Kraftwerk zu bauen. Ein in der Physik nicht nachvollziehbares Phänomen, wenn man weiß, dass bei hohen Geschwindigkeiten im Tunnel mehr Energie benötigt wird als bei der Fahrt über den Berg.


Auf dem fruchtbaren Boden
der von Kollegen Liessmann theoretisch behandelten Unbildung erhalten in der Praxis Bildungsbegriffe eine ganz andere und wichtigere Bedeutung, etwa der Begriff Teambildung. Eine solche ist notwendig, um etwa die Milliarden für ein sonst nicht begründbares Projekt zu erhalten.

In diesem Team spielt der Finanzminister eine zentrale Rolle. Und so lange Finanzminister Edlinger auf unsere Steuergelder schaute, konnte auch kein wirksames Koralmteam aufgestellt werden. Erst mit Schüssel und Grasser war es dann möglich, das einst Unmögliche „auf Schiene“ zu bringen. Heute ist neben BZÖ und FPÖ auch die SPÖ im Team – und der ÖVP-Finanzminister und Vizekanzler. Sonst hätte er ja niemals zugestimmt, dass an dem „schwarz-blauen Gedächtnisstollen“, wie ihn Karl Aiginger vom Wirtschaftsforschungsinstitut treffend charakterisiert hat, weitergebaut werden darf. Und mit Rot-Schwarz gelang dann gleich der Doppelschlag von Semmering und Koralm.

Ein neuer Aspekt, in der Theorie noch gar nicht bedacht, taucht hier auf: die „Begriffsbildung“. In der Praxis der Unbildung ein mächtiges Instrument. So mächtig, dass man damit sogar versuchen kann, die EU zu instrumentalisieren, sie mit diesem Begriff geradezu zu hypnotisieren.

Dazu wurde der „baltisch-adriatische Korridor“ gebildet, der den zahlreichen Direktzügen von Danzig nach Venedig die Fahrt durch die letzen Berge am Rande des Flachlandes ermöglichen – und um ein Vielfaches verteuern – soll. Landeshauptmann Dörfler fürchtet zu Recht, die EU könnte noch rechtzeitig merken, wie man sie manipuliert. Ja es könnte sogar der Fall eintreten, dass jemand auf die Idee kommt und eine Europakarte zur Hand nimmt und dann mit Überraschung feststellt, dass knapp neben dieser Eisenbahnlinie schon andere Eisenbahnen im Flachland die Ostsee mit der Adria verbinden und eine davon schon in Teilabschnitten den Namen eines EU-Korridors trägt.

Unter dem Begriff „Großprojekte der Infrastruktur“ ist es den jahrzehntelangen Bemühungen geschickter Lobbyisten der Tunnelbaukonzerne und Banken gelungen, das einst Undenkbare und Lächerliche zu einem Teil der Regierungserklärung zu machen. Die Universitäten, so zeigt sich, haben in dieser Hinsicht leider kläglich versagt. Es gibt keine Rektoren, die im Nebenzimmer des Bundeskanzlers residieren und an der Spitze jener Einrichtungen stehen, in denen die Milliarden, die der Staat nicht hat, an sogenannte „Zukunftsprojekte“ verteilt werden – etwa lange schwarze Löcher durch Berge zu bohren. Aber Schwarze Löcher haben nicht nur im Universum die fatale Eigenschaft, dass sie unwiederbringlich alles in sich einsaugen, auch die Zeit und damit die Zukunft. Sachkundige Wirtschaftswissenschaftler wie Karl Aiginger bezeichnen das dann als „Schrecken ohne Ende“ – zu Recht.


Rechnen scheint
durch die grassierende praktische Unbildung mittlerweile auch schon auf der Strecke geblieben zu sein. Zumindest im Staatsschuldenausschuss. Sein Vorsitzender, Bernhard Felderer, hat ja durch seine IHS-Geheimstudie die Voraussetzungen für die Koralmentscheidung geliefert und, sobald diese vertraglich gesichert war, auf einmal den Semmering entdeckt. Entweder werden im Staatsschuldenausschuss die mathematischen Vorzeichen verwechselt – ein praktisches Ergebnis von Unbildung –, oder der Ausschuss dient zur explosionsartigen Vergrößerung der Schulden. Eine durchaus nachvollziehbare, wenn auch eigennützige Position: Je größer die Staatsschulden, umso wichtiger der Staatsschuldenausschuss. Einer Gesellschaft der Unbildung kann man das ohne Weiteres zumuten. Der Weiterbau des Koralmtunnels ist der praktische Beweis dafür – ganz zu schweigen von den weiteren sogenannten „Großprojekten“.


Auch das Argument „Schweiz“
kann sich nur auf einem gut gedüngten Boden der Unbildung halten. Die Tunnelbauten in der Schweiz unterscheiden sich von denen in Österreich durch wesentliche Faktoren.

Erstens. Die Schweiz hat das Geld entweder auf dem Konto oder vertraglich verbrieft, bevor ein Projekt vergeben wird. Österreich macht bedenkenlos Schulden.

Zweitens. Die Bevölkerung in der Schweiz muss zu jedem größeren Bau ihre Zustimmung geben, weil sie weiß, dass sie – und nur sie – alles bezahlen muss. In Österreich wird über die Köpfe der Menschen hinweg entschieden.

Drittens. Die Alpentransversale in der Schweiz hat einen Vertrag mit der EU über die verpflichtende Verlagerung des Straßengüterverkehrs auf die Schiene. Die Koralm und der Semmering liegen so neben den Flachlandrouten des internationalen Schienenverkehrs, dass sich die EU nur lächerlich machen würde, diese Projekte als international wichtige Routen ernst zu nehmen.

Viertens. In der Schweiz gibt es keine Autobahn, die wenige hundert Meter über dem Tunnel verläuft und der Bahn keine Chance gibt. Die A2 hingegen verläuft parallel zum Tunnel und wird schon heute mit den IC-Bussen zwischen Klagenfurt und Graz befahren. In der Schweiz wäre das unmöglich. Und wenn es möglich wäre, wäre es unmöglich, auch nur einen Rappen für einen so unsinnigen Tunnel vom Volk zu bekommen.

Fünftens. Die Schweizer Tunnel haben auch 100 Kilometer links und rechts keine Konkurrenz. Die Koralm hat nicht nur oben die Autobahn, sondern links und rechts heute schon funktionierende, noch lange nicht ausgelastete Eisenbahnstrecken. Wie da jemals ein wirtschaftlich lukrativer Eisenbahnbetrieb erreicht werden kann, steht nicht einmal in den Sternen.

Das Problem, das auf die Studierenden in der Praxis zukommt, ist, dass sie wegen der fehlenden Mittel für die Bildung, die man ihnen nicht gewährt, eine Zukunft zu tragen haben werden, in der sie die nahezu untragbare Schuldenlast für Projekte, die auf dem Boden der Unbildung beschlossen wurden, auf jeden Fall zu tragen haben werden. Sie werden daher eine Wettbewerbssituation vorfinden wie ein Hochspringer, dem man beim Wettkampf eine Bleiweste umgebunden hat.


Kritisieren ist leicht,
helfen ungleich schwerer, wird man hier einwerfen. Was hätten denn die um wirkliche Bildung besorgten Studenten und Akademiker tun sollen? Es sind drei Orte, wo man zu demonstrieren hätte, um erfolgreich zu sein:

Erstens. Auf den Baustellen, wo diese Löcher gebohrt werden – wohl der am meisten erfolgversprechende Ort (because the money is there). Hätte man seinerzeit gegen Hainburg am Ring demonstriert, der Nationalpark Donauauen wäre ein Traum geblieben.

Zweitens. Vor dem Infrastrukturministerium, denn dieses gibt das Geld aus, das im Bildungsministerium fehlt.

Drittens. Vor dem Finanzministerium, denn kein Cent öffentlicher Mittel kann ohne dessen Zustimmung ausgegeben werden.

Bildung ist aber nicht nur eine Sache der akademischen Institutionen. Bildung geht jeden an und trifft jeden, wenn sie fehlt.

Man stelle sich vor, wir hätten (traditionell) gebildete Eisenbahner, die merken, wie eine Bahnstrecke nach der anderen eingestellt wird, während im Ausland eine nach der anderen erfolgreich revitalisiert wird, und dass ihre Arbeitsplätze durch Monsterbauten ruiniert werden. Ihre Gewerkschaften und sie müssten als erste diese Baustellen besetzen.

Man stelle sich vor, wir hätten gebildete Bürger, die merken, wenn die Regierung nicht nur den Bau dieser Tunnel beschließt, sondern im Wissen, dass keine Bahnverwaltung es sich je leisten kann, die Trassenpreise für die Benützung zu bezahlen, gleich mitbeschließt, den Betrieb zu finanzieren. Alle Österreicherinnen und Österreicher würden die Baustellen besetzen. Aber die von Kollegen Liessmann festgestellte „Theorie der Unbildung“ scheint in der Praxis schon so wirksam geworden zu sein, dass sie bereits einem allgemeinen Hirntod gleicht. Er hat zu spät gewarnt.


Wann würde sich eine Investition
aus öffentlichen Mitteln für die „Zukunftsprojekte“ der baltisch-adriatischen Achse sachlich begründen lassen? Die Antwort ist gar nicht so schwierig: Ein Semmering-Basistunnel wird dann spruchreif, wenn die Direktzüge von Danzig nach Venedig und Triest im Zweistundentakt über den Semmering rollen. Allerdings wussten schon die Kelten, ohne Google-Earth zu bemühen, dass die baltisch-adriatische Achse niemals über Semmering und Koralm verlaufen kann. Der Koralmtunnel wiederum ist dann zu verantworten, wenn der Budgetüberschuss Österreichs die 52-Milliarden-Marke überschritten hat. Zehn Prozent der Überschüsse riskieren auch manche Firmen in teilweise unsinnigen Vorhaben, ohne sich selbst zu gefährden.

Ich gratuliere meinem Kollegen Konrad Paul Liessmann zu seiner Theorie. Sie ist praxistauglich und wie jede gute Theorie noch ausbaufähig. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2010)

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