Gastkommentar

Wir erleben nicht das Ende der Globalisierung, sondern ihre Transformation

FILE PHOTO: Containers are stacked on the deck of the cargo ship as it's underway in New York Harbor in New York, U.S.
FILE PHOTO: Containers are stacked on the deck of the cargo ship as it's underway in New York Harbor in New York, U.S.REUTERS
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Die Coronakrise stellt das arbeitsteilige globale Wirtschaftsmodell nicht in Frage, eher ist das Gegenteil der Fall.

Am Beginn der Coronakrise, als chinesische und später norditalienische Fabriken in den Lockdown gingen, kamen auch in Österreich und Deutschland die Bänder zum Stehen. Importierte Vorprodukte fehlten plötzlich. Dann stellte man in Europa fest, dass bestimmte medizinische Produkte wie Masken und Reagenzien oder Verpackungsmaterial nicht in den benötigten Mengen auf den Weltmärkten zur Verfügung standen. Globalisierungsskeptiker aller Couleurs wiesen schnell auf die fehlende Zuverlässigkeit globaler Lieferketten hin und forderten, mit neuer Regulierung und Subventionen die Produktion nach Europa zurückzuholen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der neuen Ausgabe des Monatsmagazins „Der Pragmaticus“(derpragmaticus.com), das auch der „Presse“ beiliegt.

Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

Dieses Argument brach schnell zusammen. War der Welthandel im April 2020 um 15 Prozent gegenüber dem Vorkrisenniveau eingebrochen, so kam er ebenso schnell zurück und überschritt vier Monate später dieses Niveau wieder. Im April 2021 lag der Welthandel um sechs Prozent über Dezember 2019. Ganz ähnlich erging es der globalen Industrieproduktion, die schnell wieder über das Vorkrisenniveau kletterte.

Es kam, von wenigen vorhergesehen, zu einer perfekten V-Formation und, nach Überwindung des ersten Corona-Schocks zu einem regelrechten Boom im Welthandel. Die globalisierte Wirtschaft stillte die gestiegene Nachfrage nach vielen Gütern: Schutzkleidung und langlebige Konsumgüter aus China, Maschinen aus Europa, Rohstoffe. Mehr noch, sie ermöglichte die rasante Skalierung der globalen Impfstoffproduktion. Im Jahr 2021 wurde von Null beginnend mehr als neun Milliarden Impfdosen hergestellt, und zwar unter Ausnutzung der Vorteile globaler Wertschöpfungsnetzwerke. Die globalisierte Wirtschaft hat geliefert – entgegen allen Unkenrufen.

Österreich hat vom Boom im Welthandel profitiert. Angetrieben von starken Industriezahlen verlief die wirtschaftliche Entwicklung im zweiten und dritten Quartal besser, als man im Vorfeld zu hoffen wagte.

Vergleich mit der Krise 2008/09

Interessant ist der Vergleich der Coronakrise mit der letzten Rezession, der Weltwirtschafts- und Finanzkrise von 2008/09. Auch damals kam es zu einem schnellen und starken Einbruch des Welthandels und der globalen Industrieproduktion. Die Erholung aber dauert sehr viel länger. Erst 24 Monate nach Pleite der Lehman-Brüder Investmentbank, erreichten die beiden Größen das Vorkrisenniveau. Der Grund ist, dass es sich damals um eine Finanzmarktkrise handelte, die eine schmerzhafte Bereinigung von Bilanzen von Banken und Unternehmen erforderte.

Die Coronakrise hingegen ist von ihrem Wesen her interruptiv: funktionsfähige Produktionsstrukturen werden durch behördliche Auflagen immer wieder unterbrochen, können aber in vielen Fällen schnell wieder hochgefahren werden. Und weil überall auf der Welt die Regierungen und Notenbanken in historisch einmaliger Art und Weise für Liquidität gesorgt haben, kam es während der Abschaltphasen nicht zu Unternehmenspleiten. Viele Marktteilnehmer hatten mit einer Wiederholung der langen Rezession wie nach der Lehman-Pleite gerechnet und reduzierten vorsorglich ihre Kapazitäten - eine Fehleinschätzung, die als eine Ursache für das aktuell knappe Angebot gelten kann.

Der weltweite Boom hatte aber zu einer Explosion der Preise geführt. Das ist eine logische Folge, wenn die Nachfrage überraschend stark expandiert, die Angebotsseite aber immer wieder durch neue Corona-Maßnahmen unterbrochen wird. Der Durchschnittspreis für industrielle Rohstoffe stieg zwischenzeitlich um knapp 70 Prozent über das Vorkrisenniveau und liegt in den letzten Daten immer noch 45 Prozent darüber, fossile Brennstoffe sind 70 Prozent teurer. Auch die Frachtraten im internationalen Warenverkehr sind regelrecht explodiert, auf manchen Strecken haben sie sich mehr als verfünffacht. In Folge stiegen die Erzeugerpreise stark an. In Deutschland liegen sie im November 2021 um 19 Prozent über dem Vorjahresmonat. Seit Anfang der 1950er Jahre gab es solche Steigerungen nicht. In Österreich lag die Steigerungsrate bei 15 Prozent, ein Rekordzuwachs seit Beginn der Aufzeichnungen. Lieferschwierigkeiten und hohe Preise haben den Boom daher abgewürgt. Einen Rückgang haben sie aber nicht ausgelöst. Der Welthandel und die globale Industrieproduktion liegen immer noch um 5,5 beziehungsweise 2,0 Prozent über dem Vorkrisenniveau und es gibt erhebliches Aufwärtspotential.

Denn hohe Preise laden zu Produktionsausweitungen ein. 2021 wurden so viele Frachtschiffe bestellt wie noch nie in den letzten beiden Jahrzehnten. Rohstoffkartelle wie die OPEC versuchen, Preise durch Verknappung hochzuhalten, aber das gelingt selten und schon gar nicht auf Dauer. Es spricht also viel dafür, dass die Knappheiten nachlassen und die Preise fallen – mittelfristig jedenfalls.

Gabriel Felbermayr
Gabriel Felbermayr APA/TOBIAS STEINMAURER

Die Coronakrise stellt das arbeitsteilige globale Wirtschaftsmodell also nicht in Frage, eher ist das Gegenteil der Fall. Der Welthandel hat die schnelle Bewältigung der ärgsten wirtschaftlichen Verwerfungen erst ermöglicht. Simulationsstudien zeigen, dass eine Entkoppelung von Lieferketten zwar internationale Ansteckungseffekte durch den Welthandel verringert – man immunisiert sich gegen Produktionsausfälle im Ausland – aber die Kosten in Form von Wachstumseinbußen übertreffen die Vorteile um ein Vielfaches.

Das heißt nicht, dass alles im internationalen Güterhandel gut wäre. Wie erwähnt: Die aktuellen Lieferschwierigkeiten sind das Resultat von Fehleinschätzungen durch Manager, die von einer langsamen, bestenfalls U-förmigen Erholung ausgegangen waren. Auch die Wahrscheinlichkeit von Lieferausfällen wurde unterschätzt. Damit erschien es rational, die Lager möglichst knapp zu halten, und die Anzahl der Lieferanten gering. Diese Fehler kosten vielen Unternehmen Umsatz und Gewinn: trotz hoher Nachfrage, kann mancher Auftrag nicht abgearbeitet werden. Die Firmen diversifizieren daher ihre Lieferantennetzwerke und verändern ihre Lagerhaltungsstrategien. Gemäß der marktwirtschaftlichen Logik haben sie dafür starke Anreize; sie brauchen keine staatlichen Vorgaben dafür. Der Staat sollte allerdings dafür sorgen, dass die Diversifizierung der Netzwerke durch moderne Freihandelsabkommen unterstützt wird und Lösungen für den Mangel an Bauplätzen für Lager gefunden werden.

Zunehme politische Risiken

Die um Vieles problematischere Belastung des globalen Güterhandels sind die zunehmenden politischen Risiken. Der Handelskrieg zwischen USA und China ist noch lange nicht vorbei, und damit das Risiko, dass Produkte europäischer Hersteller aus China plötzlich in den USA von hohen Zöllen belastet werden, und umgekehrt. Außerdem könnte es auch für in Europa endgefertigte Produkte Zusatzzölle geben, wenn bei der Herstellung Vorprodukte aus den China oder den USA verwendet werden. Eine Ahnung, wie dies laufen könnte, haben die neuen Regeln im Handelsabkommen zwischen USA, Mexiko und Kanada gezeigt, die Vorprodukte von außerhalb der Zone beschränken.

Doch auch die europäische Handelspolitik wird protektionistischer. Das geplante Lieferkettengesetz erfordert zusätzliche, teure Bürokratie zur Überwachung ausländischer Zulieferer und setzt die Unternehmen dem Risiko hoher Strafen aus, wenn sie ihren Sorgfaltspflichten nicht gemäß dem Buchstaben des Gesetzes nachkommen. Der Einsatz von handelspolitischen Instrumenten zur Verfolgung von außenpolitischen Zielen in den Bereichen Menschenrechte, Sozial- oder Umweltpolitik schafft neue Barrieren. Ein Beispiel dafür ist der CO2-Grenzausgleich, der neue Risiken und Kosten im internationalen Handel schaffen wird. Und selbst wenn es gar nicht zu konkreten Maßnahmen kommt, belasten die zunehmende Unsicherheit und Spannungen mit Handelspartnern von Russland bis zum Vereinigten Königreich belasten das Geschäft.

Die Unternehmen stellen sich diesen Risiken. Konkret bedeutet das sehr oft, die Produktion näher an die Endkunden zu bringen, um politische Risiken zu reduzieren. Für den chinesischen Markt wird in China, für den amerikanischen Markt in den USA, Mexiko oder Kanada produziert, Vorprodukte inklusive. Für kleine offene Volkswirtschaften wie die österreichische, die stark vom Export in Übersee profitiert haben, ist das keine gute Nachricht. Auch für die Verbraucherinnen nicht, denn ihnen drohen höhere Kosten, wenn die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung kleiner werden.

Dekarbonisierung dämpft Güterhandel

Eines ist aber wohl unumgänglich: Die Dekarbonisierung des internationalen Transportes wird den Güterhandel dämpfen. Wenn die Ozeanriesen für ihre CO2-Emissionen adäquate Preise bezahlen müssen, geht der Welthandel deutlich zurück. Im Unterschied zu schädlichem Protektionismus wäre das aber zu begrüßen, denn nur mit Kostenwahrheit schafft Handel nachhaltig Wohlstand. Wenn Transport teurer wird, dann stärkt das den kleinräumigen Handel, auch den grenzüberschreitenden. Wenn fossile Energie nicht mehr tausende Kilometer transportiert werden muss, sondern durch erneuerbare regionale Energie ersetzt wird, dann hat das einen ähnlichen Effekt.

Während alle, den Autor dieser Zeilen eingeschlossen, auf den Güterhandel schauen, entwickelt sich der Dienstleistungshandel dynamischer. Dort spielt das Internet eine große und wachsende Rolle. Neue Technologien wie die Blockchain und künstliche Intelligenz machen grenzüberschreitende Geschäfte möglich, die es bisher nicht gab. Hier baut sich eine neue Welle auf, die die Globalisierung verändern kann – weg von physischen Gütern, hin zu virtuell gehandelten Dienstleistungen – zu medizinischen und juristischen Dienstleistungen, zu Finanzen, Unterhaltung und vieles mehr.

Wir haben es also nicht mit dem Ende der Globalisierung zu tun, sondern mit ihrer Transformation. Die großen Aufgaben, vor denen wir stehen, wie zum Beispiel die Energiewende oder der demographische Wandel erfordern allerdings, dass die Produktivitätsvorteile der internationalen Arbeitsteilung voll genutzt werden. Dafür muss die Politik mit internationaler Kooperation anstatt mit protektionistischer Abschottung sorgen.

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