Klartext eines Botschafters

Die Leser debattieren. Das „Presse“-Interview mit dem Vertreter der Türkei in Österreich, Kadri Ecvet Tezcan, hat in der Öffentlichkeit eingeschlagen wie eine Bombe, zeigen die Reaktionen. Eine Auswahl aus der Leserbriefflut:

Kritik muss sachlich und konstruktiv sein

Selbstverständlich ist es einem türkischen Botschafter unbenommen, sich undiplomatisch zu äußern. Manches, was er kritisch über die Situation der MigrantInnen und insbesondere seiner Landsleute in Österreich sagt, ist richtig. Aber was er völlig verschweigt, sind die Maßnahmen der Integration, die gerade in Wien in der letzten Zeit gesetzt wurden. Es wäre nur fair, hätte der Botschafter dies auch anerkannt.

Als türkischer Botschafter müsste sich Herr Tezcan etwas bescheidener geben, angesichts der großen Probleme, die die Türkei – trotz mancher Reformen – hat. Insbesondere wenn es darum geht, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit an ein europäisches Niveau heranzuführen. Der diese Woche publizierte „Fortschrittsbericht“ der EU-Kommission hinsichtlich der Türkei zeigt klar die Defizite auf. Jeder muss seine Probleme lösen. Kritik ist dabei hilfreich. Aber wie die Türkei dies auch immer wieder einfordert, sollte sie auf Tatsachen beruhen und konstruktiv formuliert sein.

Hannes Swoboda, Vizepräsident der S&D-Fraktion im Europ. Parlament

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Aus dem Alltag eines

Linzer Taxi-Lenkers

Als nebenberuflicher Taxi-Lenker in Linz mache ich regelmäßig Erfahrungen, die die Aussagen des türkischen Botschafters bestätigen. Hier nur ein paar Beispiele: Es gibt Taxi-Unternehmer, die in Gesprächen sofort auf das Thema Ausländer zu sprechen kommen und dann Aussagen machen wie: „Es wird nicht mehr lange dauern, bis das KZ-Mauthausen wieder aufgesperrt wird“. Oder: „Ein kleiner Hitler muss wieder her.“

Es gibt Fahrgäste, die bei afrikanisch-stämmigen Kollegen nicht einsteigen wollen, dann bei mir einsteigen und sagen: „Diese Neger haben bei uns nichts verloren.“ Es gibt Taxi-Unternehmer, die Gerüchte in Umlauf bringen und Stimmung machen, indem sie sagen: „Diese Neger haben nicht mal den Taxi-Schein.“ Vorgestern stieg bei mir ein Fahrgast am Bahnhof ein und schimpfte sofort los: „In der Landstraße kann man nicht mehr einkaufen gehen, weil man da nur mehr Türkenweiber mit Kopftüchern sieht. Das Ungeziefer soll sich wieder heim scheren.“ Dies sind nur ein paar Zitate, die aber zeigen, wie aufgeheizt die Stimmung bereits ist.

Die Erziehung zur Einhaltung von menschlichen Grundrechten, Achtung und Würde aller Menschen, egal welche Hautfarbe, Rasse oder Religion, sollte endlich auch in Österreich einmal begonnen werden. Zu viele sind noch immer davon überzeugt, dass „germanisch-stämmige“ Österreicher oder Deutsche anderen weit überlegen seien.

Österreich braucht Menschen in der Politik, die sich zu den Menschenrechten bekennen und sich dafür einsetzen – und nicht Leute, die in erster Linie an Klientel-Politik interessiert sind. Man möchte Staudämme in der Türkei bauen, unsere Betriebe wollen exportieren und im Ausland investieren, aber mit den Menschen aus anderen Ländern will man nichts zu tun haben. Ich finde die Gesinnung vieler Landsleute echt zum Schämen.

Meiner Ansicht nach hat der türkische Botschafter die weit verbreitete Stimmung in unserem Land sehr gut und ehrlich wiedergegeben. Anstatt sich darüber aufzuregen, täte die ÖVP gut daran, wirklich darüber nachzudenken und zu reflektieren!

Johann Gutenbrunner, 4020 Linz

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Eine vor Impertinenz triefende Provokation

Den Ahnungslosen zu mimen und Schönfärberei mit Realitätsverweigerung zu paaren genügt nicht, Herr Botschafter! Sie wissen natürlich sehr wohl, wie es um die „tolle Integrationsbereitschaft“ vieler Ihrer Landsleute aussieht, und Ihre Aussagen sind so gesehen nichts anderes als eine vor Impertinenz triefende Provokation Österreichs. Verlassen Sie es doch, wenn Ihnen danach ist!

Arno Malik, 4623 Gunskirchen

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Ehrlichkeit halten viele Österreicher nicht aus

Als tief verletzenden Volltreffer nehmen viele österreichische Seelen das hoch ehrliche Interview mit dem türkischen Botschafter wahr. Nichts beschönigend, Fehler und Chancen auf beiden Seiten aufzeigend. Das halten viele Österreicher leider nicht aus. Na klar müssen die österreichischen Großparteien dagegen protestieren. Das sind sie ihren lautesten Wählern und potenziellen Wählern schuldig.

Maria Hosa, 3300 Amstetten

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Ausdehnung des Osmanischen Reiches

Der türkische Außenminister spricht von der Wiedererrichtung des Osmanischen Reichs. Der türkische Botschafter in Wien will dieses Reich auf Wien und Österreich ausdehnen. Der aktuelle EU-Fortschrittsbericht stellt fest, dass die Türkei trotz jahrealter Zusagen ihren Verpflichtungen nicht nachkommt und noch weit von der EU-Reife entfernt ist. Herr Botschafter Tezcan bestätigt diese Analyse. Nicht OSZE und UNO sollten Wien verlassen, sondern er. Wieso versucht Botschafter Tezcan nicht, Verständnis und Sympathie für sein Land zu erreichen?

Dr. Harald Fiegl, 1130 Wien

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Staatsbürgerschaftsfrage ist falsch gestellt

Die Frage Tezcans „Warum habt ihr 110.000 Türken eingebürgert?“ klingt so, als hätte Österreich gegen den Willen der Einwanderer Menschenraub betrieben. Die Antwort kann nur lauten: Weil diese einen Antrag gestellt und zu diesem Zeitpunkt die Bedingungen für eine Österreichische Staatsbürgerschaft erfüllt haben. Das Ersuchen um Einbürgerung geht ja von den Zuwanderern aus. Keineswegs kann einem solchen Schritt die von Tezcan im Zusammenhang mit der vernachlässigten Berufsausbildung der zweiten und dritten Generation behauptete „moslemische Genügsamkeit ohne Wunsch nach Veränderung“ (im Gegensatz zu unserer angeblich „merkantilistischen“ Einstellung) zu Grunde liegen. Im Gegenteil.

Die eigentliche Frage müsste daher lauten: Warum haben 110.000 Türken einen Antrag auf die Österreichische Staatsbürgerschaft gestellt? Welche Gründe, welche Erwartungen hatten sie? Welche haben sich erfüllt, welche nicht? Warum nicht? Man sollte die Situation endlich forschungsmäßig erfassen, ohne politisch oder religiös vorgeprägte Meinung. Das geht.

Univ.-Doz. Dr. Barbara Aulinger

8020 Graz

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Botschafter darf keine

„Privatmeinung“ haben

Ein offizieller Botschafter hat gegenüber einem Medium des Landes, in dem er akkreditiert ist, keine Privatmeinung zu haben. Seine „Privatmeinung“ kann er seiner Gattin oder seiner Hausmeisterin (was auch nicht sehr gescheit wäre, da sie es weiter erzählen könnte) gegenüber äußern.

Dr. Wolfgang Schachinger, 1040 Wien

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Lächerlicher Empörungsgestus

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, Herr Vizekanzler, Herr Außenminister, sehr geehrte Frau Rudas. Ihren aufgesetzten Empörungsgestus finde ich entbehrlich und lächerlich. Mich jedenfalls hat Botschafter Tezcan nicht beleidigt. Aber empört sein ist natürlich einfacher als Nachdenken.

Dr. Thomas Höhne, 1070 Wien

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2010)

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