Im Krieg suchen negative Emotionen auch durch die Sprache einen Ausweg. Und die Sprache, deren wichtige Funktion der spontane Ausdruck von Gefühlen ist, lässt uns nicht im Stich. Vom Schimpfen und Fluchen.
Am 24. Februar 2022, während Russland im Morgengrauen die ukrainischen Städte zu bombardieren begann, wachten die Ukrainer:innen in einer neuen Realität auf. Einer blutigen Kriegsrealität, die Gefühle der Hilf- und Fassungslosigkeit, der Wut und Unsicherheit, des Schmerzes und der Angst hervorrief, die durch Sprache ihren Ausweg suchten. Und die Sprache, deren wichtige Funktion ja auch der spontane Ausdruck von Gefühlen ist, ließ die Menschen nicht im Stich: Die sozialen Medien explodierten mit aggressiven Äußerungen, vor allem mit Verwünschungen – typisch für das Ukrainische zum Abreagieren negativer Emotionen.
Die ersten Verwünschungen erfolgten im starken Affekt, für den kurze Ausrufe charakteristisch sind: „Seid verflucht! Verrecke! Krepiere!“ Sie übten eine kathartische Funktion aus und wurden sofort zu Hashtags wie #3δoxHu?Xyŭπo (#Verrecke?Riesenarschloch) oder #nyTiHBMp(#putinstirb). Es folgten die erweiterten Formen („Brennt in der Hölle! Seid verflucht und eure Kinder! Seid alle verflucht in alle Ewigkeit!! Alle! Krepieren soll er – Gott vergebe mir diese Worte!“), die von Beschimpfungen auf Putin, auf die russische Armee und die Okkupanten schlechthin begleitet wurden:
„Verrecken sollst du, Scheißdreck!“
„Möge das Arschloch krepieren!“
„Unmenschen, sollen in der Hölle schmoren!“
„Verwesen sollen sie in Armut und in Krankheiten, vergessen und verschmäht in alle Ewigkeit!“
Mit jedem weiteren Angriff, mit der immer stärker wachsenden Bewusstwerdung dieses grausamen Verbrechens, fand die anfängliche Wortkargheit Ausdruck in ganzen Verwünschungsketten, wobei hier die Taktik der Retourkutsche angewendet wurde, die darin besteht, das durch den Feind verursachte Grauen auf ihn selbst zu richten:
„Russenratten, wünsche euch, bis zum Lebensende in Kellern zu schlafen, während ihr bombardiert werdet. Brennt in der Hölle zusammen mit eurem Putler!“
Auch mein Mann, der ukrainische Schriftsteller Tymofiy Havryliv, reagierte mit dem literarischen Zurückschlagen des Unheils: „Mögen die Bomben auf raschistische Städte fallen, auf Moskau und Petersburg, auf große und kleine Städte – wie sie heute auf die ukrainischen Städte fallen. Mögen ihre Bewohner im eigenen imperialistischen Erbrochenen, in ihren faschistischen Fäkalien ersticken (. . .) mögen sie das alles am eigenen Leib erfahren, damit ihnen für Zehntausende von Jahren die Lust vergeht, jemanden oder etwas anzugreifen, jemandes Leben, jemandes Freiheit, ihnen, die niemals ihre eigene Freiheit hatten, keinen einzigen Tag in ihrer beschissenen Geschichte, keine Rechte und keine Freiheiten, die keinen blassen Dunst, keinen Schimmer haben, was und wie es ist.“