Brüssel-Briefing

Europas Gipfelkampf gegen Windmühlen

Just, als Joe Biden in Brüssel eintrifft, um die Einigkeit des Westens gegen Putin zu bekräftigen, zanken die Europäer über Energiepolitik.

Wenn Brüsseler Diplomaten einander hintenherum Nettigkeiten mitteilen wollen, tun sie das heutzutage via WhatsApp oder Signal. Da lässt sich schnell der eigene politische Spin an eine große Menge an EU-Korrespondenten verschicken - natürlich stets unter der Kautel, dass man den Sender nicht namentlich zitiere. Diese Gepflogenheit hat ihren Sinn, denn anders, als sich das der Laie oft vorstellt, besteht Journalismus nicht bloß darin, mitzustenografieren, was Minister X oder Botschafterin Y „on the record“ zu verkünden hat. Ein Großteil meiner Arbeit als Korrespondent der „Presse“ in Brüssel besteht darin, mit Leuten, die an verschiedenen Stellen der hiesigen Politikmaschinerie werken, über deren Sicht auf selbige zu reden, ohne dass ich sie zitieren möchte. Ich muss vielmehr wissen, wie ich mit der Flut von Informationen, die auf uns heranströmt, umgehen soll. Was ist wichtig? Was ist neu? Und was ist nur ein kalter Aufguss von Altbekanntem (aktuelles Beispiel: die am Montag im Rahmen des Außenministertreffens verkündete 5000 Kopf starke „schnelle Eingreiftruppe“ der EU. Von der redet man seit dem Fall von Kabul an die Taliban, und ich möchte wetten, dass sie nie irgendwo schnell eingreifen, sondern ewig ein Papiertruppenkörper bleiben wird, denn: welche Regierung in der EU hat den politischen Mut, ihren Bürgern beizubringen, dass sie ihre Söhne und Töchter in Uniform fern der Heimat in den Krieg zu schicken gedenkt?).

Zum Problem werden diese allgegenwärtigen Hintergrundgespräche, wenn einzelne Branchenkollegen der Meinung sind, man müsse sie in die Öffentlichkeit zerren, vor allem, um damit auf Twitter als besonders heiß informierter Insider sich stilisieren zu können. Dann wird aus dem vertraulichen Geplauder, ob analog oder via Kurznachricht, ein öffentliches Ärgernis. So geschah das auch am Mittwoch, just vor Beginn des mit großen Erwartungen herbeigesehnten Europäischen Rates unter Beteiligung von US-Präsident Joe Biden. Einer meiner Konfidenten (und auch jener vieler meiner hiesigen Kollegen) unkte nämlich dieser Tage via WhatsApp-Gruppe, Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez verhalte sich mit seiner Forderung nach der staatlichen Regulierung von Energiepreisen wie Don Quijote - und Belgiens Ministerpräsident Alexander De Croo sei sein Sancho Panza. Einige Korrespondenten vertwitterten das, und so kam der Stein ins Rollen.

Spaniens EU-Botschafter sei am Mittwoch ziemlich verschnupft über den Don-Quijote-Vergleich gewesen, trug man mir zu. Und die Belgier fanden die Gleichsetzung mit Sancho Panza auch eher unterlustig. Der Spanier habe aber zugleich listig nachgesetzt, dass ihn der Vergleich mit dem ehrenwerten, romantischen letzten Ritter ehre, zumal Spanien mehr Windmühlen habe als jedes andere EU-Land.

So ein Heckmeck in einer Zeit, wo kaum ein europäischer Staatsführer müde wird, die historische Einigkeit der Union zu betonen, ist unerfreulich. Es erinnert aber eben auch daran, dass die EU ein Bündnis von 27 sehr unterschiedlichen Staaten ist. Das manifestiert sich auch in der Energiepolitik; der EU-Vertrag hält ausdrücklich fest, dass jedes Mitglied selber darüber entscheiden darf, wie es sich mit Energie versorgt. Das ist eine Maxime, die in der Welt von Gestern, also der Welt vor Putins Überfall auf die Ukrainer am 24. Februar, zwar die betrübliche Folge hatte, dass es einen wirklichen Binnenmarkt für Energie nicht gibt. Wirklich existenziell bedrohlich war der energiepolitische Fleckerlteppich für die Europäer aber nicht.

Das ist nun anders. Ob man nun eher den Südeuropäern mit ihrem Drang zur staatlichen Intervention in die Energiemärkte zuneigt, oder den Nordeuropäern, die vertreten, man solle nicht zu sehr ins Spiel von Angebot und Nachfrage hineinpfuschen: auf irgendeine gemeinsame Linie müssen sich die 27 einigen. Beim Gipfel am Donnerstag und Freitag wird das, fürchte ich, nicht möglich sein. Das liegt auch daran, dass Frankreichs Präsident, Emmanuel Macron, im Endspurt seines Wahlkampfes ist und kraft französischen Rechts keine neuen politischen Vorhaben lancieren darf. Darum vermute ich, dass es so ist, wie es die eingangs erwähnte diplomatische Quelle in ihren verschriftlichten Eindrücken aus den EU-Botschafterbesprechungen festgehalten hatte: man wird auf einen Bericht der EU-Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulatoren (ACER) über die Engpässe der europäischen Energiemärkte warten, der im April kommen soll. Bis dahin hat Macron vermutlich (zumindest legen es die Umfragen nahe) seine Wiederwahl gewonnen, und kann die Zügel in den Schlüsselfragen Ausstieg aus russischen Energieträgern und Umgang mit der Preisexplosion fest in die Hand nehmen.

Denn das ist kein Kampf gegen Windmühlen - sondern eine echte Herkulesaufgabe: egal, ob für Don Quijote, Sancho Panza, oder die anderen 25 Ritter der Brüsseler Tafelrunde.

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