Gastkommentar

Osteuropa ist Teil der Putin-Lüge

Russian President Vladimir Putin attends a concert marking the eighth anniversary of Russia's annexation of Crimea in Moscow
Russian President Vladimir Putin attends a concert marking the eighth anniversary of Russia's annexation of Crimea in Moscowvia REUTERS
  • Drucken

Kiew muss man nicht entnazifizieren, aber es wäre akut nötig, den Kreml zu entstalinisieren. Und andere Länder auch.

Im russischen neoimperialen Krieg haben hoffentlich viele verstanden, wie weit der Abbau der Demokratie in Russland vorangeschritten ist. Schon lang zeigte das Regime sein wahres Gesicht: ermordete Kritiker, manipulierte Wahlen – das ist längst Alltag in Putins Polizeistaat. Der Turbokapitalismus verschmolz mit Tyrannei, der Hass auf die freie westliche Welt wird in den Staatsmedien ohne Unterlass verbreitet, das Existenzrecht der Ukraine – und oft auch anderen Staaten – abgesprochen.
Das sollte uns in der Mitte und im Osten Europas ernsthaft beschäftigen, denn wir, die Region zwischen Prag, Bratislava, Warschau und Tallinn, sind ein wesentlicher Teil der großen geschichtlichen Putin-Lüge. Auf einigen im Kreml neu skizzierten Landkarten existieren unsere Staaten nicht mehr, aufgeteilt zwischen anderen, größeren und Putin-treuen Republiken. Wird diese Wahnvorstellung nach einer weiteren militärischen Spezialoperation erfüllt? Oder wird es diesmal einen anderen Euphemismus geben? Auch der imperiale Krieg gegen die Ukraine begann in der Sprache, in unendlich wiederholten Lügen, auf manipulierten Abbildungen der Grenzen.Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

>>> Mehr aus der Rubrik „Gastkommentare“

Hybrider Krieg

Den hybriden Krieg verlieren wir seit 2014. In keinem osteuropäischen Land sind Verschwörungstheorien so populär wie in meiner Heimat Slowakei. Ein Drittel meiner Landsleute glaubt sogar, die Aggression am 24. Februar habe der Westen begonnen.
Nein, die Ukraine muss man nicht entnazifizieren, eher wäre es akut nötig, den Kreml zu entstalinisieren. Und Osteuropa auch. In der Region bleiben die ständigen Angriffe auf kritische Journalisten meist nur verbal, doch der Slowake Ján Kuciak ist wegen seiner öffentlichen Kritik an der korrupten Oligarchie ermordet worden, mehrere weitere Reporter sind spurlos verschwunden. Die Handlungsräume für unabhängiges gesellschaftliches Engagement werden enger. Man beschimpft die NGOs regelmäßig als ausländische Agenten.

Wie viel von dem, was uns in der Russischen Föderation empört, hat sich längst in Osteuropa durchgesetzt? Auch hier gibt es ideologische Sommerkinderlager für künftige Rekruten der neuen Rechten. In Warschau oder Budapest wird staatliche Propaganda durch Medienmanipulation sowie Zensurmaßnahmen gestützt. Viele Politiker in der Region sind Möchtegern-Diktatoren; viele Parteien und Influencer haben exzellente Kontakte zum Kreml und erhalten finanzielle Unterstützung. Auf Buchmessen wurden auf riesigen russischen Ständen jahrelang Debatten von Putin-Verstehern veranstaltet, die die brutale Okkupation Ungarns im Jahr 1956 oder der Tschechoslowakei 1968 verleugneten.
Eine der Lehren aus dem Angriffskrieg ist das zerstörerische Potenzial großer Lügen. Ich habe aber auch viel über Osteuropa gelernt: Während Bürgerinnen und Bürger den geflüchteten ukrainischen Müttern und Kindern solidarisch helfen, lassen sich lokale Neofaschisten schamlos von den russischen Angreifern bezahlen.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.