Culture Clash

Ostern in Zeiten des Krieges

Wieso ausgerechnet die russisch-orthodoxe Kirchenführung Putins imperiale Sowjetverherrlichung mitmacht. Und wieso der Papst ein bisschen weiser ist.

Hingabe, nicht Selbstverherrlichung, ist der Schlüssel zum geglückten Leben. Das ist eine wesentliche Aussage der Osterbotschaft. So auch, dass Gott einer ist, der lieber das Kreuz auf sich nimmt, als sich seine Geschöpfe mit Macht zu unterwerfen. Dem kann eine christliche Zivilisation auf mindestens zweifache Art untreu werden: Indem das Individuum seine Selbstverwirklichung nach ganz eigenem Gutdünken zum Maß aller Dinge und zum Ziel der Freiheit erhebt. Oder indem sich das einsame Individuum nicht in seinem Schöpfer birgt, sondern in einer historischen Mission aufzugehen sucht. Hier wie dort sind die Volkskirchen versucht mitzutun, ihrer gesellschaftlichen Relevanz wegen.

In Russland scheint sich die Spitze der Orthodoxie auf die historische Mission des putinschen Neoimperialismus eingelassen zu haben. Das hat mit ihrer spätsowjetischen Staatsnähe, aber auch mit viel älteren Entwicklungen zu tun. Seit dem Untergang von Byzanz existiert die Idee, dass Russland das letzte christliche Reich ist und durch Leid und Zucht die verderbte Welt retten muss. Russlands heilige Mission ruht auf der Einheit von Kirche, Staat und Volk (bzw. Kultur): Was russisch spricht, hat russisch-orthodox zu sein und denselben Herrscher zu haben. Aktualisiert ist das in der von Putin lang schon betriebenen Verklärung Russlands als Besieger des Nazismus („Pobedobesije“). Der Siegestag am 9. Mai ist der wichtigste Feiertag geworden. Sogar Babys tragen dann die Uniform der Roten Armee und feiern einen Krieg, der nicht 1939 mit dem gemeinsamen Überfall auf Polen, sondern erst 1941 begonnen hat. In diesem Imperialismus-begründenden Ahnenkult – mit dem schon Breschnew das unhaltbar gewordene Narrativ vom Arbeiterparadies ersetzt hatte – mit seinem: „Wir haben die Welt vor den Nazis gerettet und werden das wieder tun!“, sind Feinde und Nazis eins. Und so sieht sich die Moskauer Kirchenführung nun einer etwas seltsamen Front von Nazis gegenüber, die Regenbogenparaden abhalten.

Dem erlösenden Ostergeheimnis scheint mir da ein Rat von Papst Franziskus näher zu sein, der allen Nostalgikern und Nachtragenden ans Herz gelegt sei: Als er 2014 Dheisheh bei Bethlehem besuchte, das sich seit 1949 unverändert als palästinensisches Flüchtlingslager begreift, hielt ein Bub eine kleine Ansprache, in der es einzig um das Leid der Vertreibung der Großeltern ging. Der Papst, der durchaus die Gerechtigkeit und den Wert des Erinnerns hoch schätzt, hat ihm geantwortet: „Lasst niemals zu, dass die Vergangenheit euer Leben bestimmt.“

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2022)

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