Am Herd

Die schweren Einkaufssackerln tragen jetzt die Kinder 

Und dann bitte ich meine Tochter, die Schrauben meiner Lesebrille fester anzuziehen, sie fällt mir nämlich dauernd in die Geschirrspülmaschine. Über Eltern und Kinder und die Frage, wer wem hilft.

Tja, so war das. Sie konnten nichts ohne uns. Wir haben ihnen die Schuhe gebunden und die Nasen geputzt, gezeigt, wie man Spaghetti aufwickelt, einen Nagel einschlägt und bis zehn zählt, sie brauchten uns, für alles: Wir haben sie auf der Straße an der Hand genommen, ihnen vorgelesen, ihre verschusselten Stofftiere gesucht und wenn sie am Wochenende ihre Freundinnen sehen wollten, mussten wir sie hinbringen: „Mama, bitte!“ Wir waren groß und stark und schlau, viel größer und stärker und schlauer als sie. Das war lästig. Aber irgendwie auch super.

Es begann schleichend. Irgendwann konnten sie Knoten binden, fuhren allein mit der U-Bahn und wünschten sich zu Weihnachten eine Bohrmaschine. Wenn wir durch die engen italienischen Gassen wanderten, waren sie es, die mich zur Seite zogen: „Mama, ein Auto!“ Marlene machte sich Avocado-Toast mit Ei zum Abendessen, weil meine Polenta-Schnittlauch-Ecken ihr nicht schmeckten. Hannah verfasste eine Bachelorarbeit, deren Sinn sich mir nicht erschloss, und ungefähr zu dieser Zeit bürgerte es sich ein, dass beim großen Wochenendeinkauf die Kinder ganz selbstverständlich die schweren Sackerln trugen – die mit der Milch und dem Wein und den Orangen –, und ich die leichten mit dem Salat und dem Müsli und den Chips: „Mama, passt schon.“


Ich habe nicht widersprochen, wir wohnen im dritten Stock ohne Lift.

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