Gerade hatte der transnistrische „Präsident“ Alarmstufe Rot ausgerufen.
Expedition Europa

Putin braucht sein Waterloo

Ich fuhr nach Varniţa, einen von Moldawien kontrollierten Vorort der transnistrischen Grenzstadt Bender. Die Aufregung war zum Schneiden. Plötzlich schlug die Stimmung gegen mich um.

Als es im prorussischen Transnistrien krachte, fuhr ich zufällig gerade hin. Ein russischer General sagte offen, dass die Vereinigung mit dem 1992 blutig von Moldawien abgespaltenen Landstreifen ein Kriegsziel darstellt. Da die russische Armee aber noch weit hinter Odessa steht, halten sich die dortigen Separatisten seit dem 24. Februar bedeckt. Ich fuhr nach Varniţa, einen von Moldawien kontrollierten Vorort der transnistrischen Grenzstadt Bender, der aber mittels Pässen, Pensionen, Arbeitsplätzen und Autokennzeichen nach Transnistrien orientiert ist. Nach 1709 hatte sich der Rest der schwedischen Armee in Varniţa niedergelassen, Schweden entsagte nach der Schlacht von Poltawa seiner imperialen Ambition und wurde ein prosperierendes Land. Der russische Autor Michail Sygar meint, dass Putin sein Poltawa bräuchte, damit auch Russland von imperialen Komplexen geheilt wird.

Als ich anreiste, wurde das leere Tiraspoler „Ministerium für Staatssicherheit“ beschossen, wurden in Grigoriopol zwei russische Radiomasten gesprengt, wurde das Munitionsdepot in Cobasna von Drohnen anvisiert. Ich hielt in Comrat, der Hauptstadt der russophilen Teilrepublik Gagausien. Die Aufregung war zum Schneiden. Ein taubengrau-blau gewandeter Elegant saß auf einer Parkbank: „Jetzt besetzen Moldawien und die Ukraine Transnistrien, Krasnoselskij hat uns zur Hilfe gerufen.“ Tatsächlich hatte der transnistrische „Präsident“ Vadim Krasnoselskij gerade Warnstufe Rot verhängt, alle Kinder in Distanzunterricht geschickt und die Siegesparade am 9. Mai abgesagt.


Moldawische Zöllnerinnen hatten behauptet, Transnistrien sei zu, das konnte aber nicht stimmen, die Verkehrsströme waren massiv. Ich erkundigte mich im zuständigen Bezirkshauptort Anenii Noi, wie ich unbehelligt nach Varniţa käme. Der schwer parfümierte Vize-Bezirkshauptmann – er hielt die Explosionen drüben für eine russische Provokation – antwortete lachend: „Überhaupt kein Problem. Wenn dich die russischen Friedenstruppen fragen, wo du hinwillst, sag Bürgermeister Nikotenko.“ Beim Ausdruck „russische Friedenstruppen“ wurden meine Finger feucht.

Tatsächlich standen vor der Abzweigung nach Varniţa einige russische Soldaten. Da sie gerade ein ukrainisches Paar kontrollierten, ließen sie mich unbeachtet passieren. Die Anhöhe von Varniţa eröffnete ein Panorama auf Zentraltransnistrien.

Varniţa war von 1711 bis 1713 „Neu-Stockholm“ gewesen, Karl XII. hatte von hier mit Kurieren regiert, ein europäisches Projekt hatte gemeinsame Gedenkkultur gefördert. Hinter einem grünen Zaun fand ich eine freigelegte Grundfeste des schwedischen Lagers, das büstenlose Denkmal für Karl XII., viel auffälliger war aber eine Tafel für Iwan Masepa positioniert. Nanu, der ukrainische Hetman, 1709 hier gestorben? Außen am Zaun ging eine Ukrainerin vorbei, eine Geflüchtete aus dem Gebiet Sumy, Krebspatientin in Morgenmantel. Den Text der Masepa-Tafel hatte sie sich noch nie durchgelesen. Ihre Varniţer Freunde, die selbst im Ausland lebten, ließen sie im anliegenden Häuschen wohnen. Sie erzählte: „Irgendwelche Schweden wollten das Häuschen kaufen, holten sich aber einen Korb.“

Es dämmerte. Dort, wo Varniţa in Bender übergeht, hatte sich ein langer Grenzstau gebildet. An drei Holztischen im Freien saßen junge Pendler und naschten Samensnacks. Zwei von ihnen, abgefüllt mit transnistrischem Cognac, luden mich zu sich. Der eine hieß so ähnlich wie Grubohradski, hatte polnische Vorfahren, sprach aber kein Polnisch, der andere hieß so ähnlich wie Fürsorger, war deutscher Nationalität, sprach aber kein Deutsch. Sie waren Transnistrier und fanden „Russlands Sache in der Ukraine richtig“.

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