Am Herd

Ich google meine Feinde

Es gibt Leute, die googeln Exfreunde. Andere sich selbst. Ich mache mich im Netz auf die Suche nach alten Feinden und freue mich, wenn es ihnen schlecht ergeht.

Ich bin kürzlich über eine Todesanzeige gestolpert. Also gestolpert ist zu viel gesagt, ich habe schließlich aktiv gesucht, wobei mir der Vorname des Kerls nicht eingefallen ist und ich ihn unter seinem Nachnamen nicht gleich gefunden habe, was mich beides mit einer etwas unsinnigen Freude erfüllt hat. Ich habe für den Mann Anfang des Jahrtausends zwei, drei Monate lang gearbeitet und bin dann mit der Erkenntnis geflohen: Wenn alle im Büro dich warnen – einfach glauben.

Jetzt ist er also tot. Und ich finde das tatsächlich ein wenig schade, ich habe mich nämlich daran gewöhnt, ihn alle Jahre wieder zu googeln und mich daran zu erfreuen, dass es mit seiner Firma bergab ging. Denn so bin ich: Ich google keine Exfreunde, sondern meine Feinde, Menschen, die mir das Leben schwer gemacht haben. Diese Kollegin, die stets alle anderen hängen ließ. Oder jenen intriganten Studienrichtungsvertreter, an den ich immer denke, wenn in irgendeiner Partei ganz sinnlos die Fetzen fliegen und darob alle den Kopf ungläubig schütteln. Ich nicke dann nur: Kenn' ich, so war das damals auch.

Putin auf der Datscha. Seit ein paar Jahren finde ich von ihm keine neue Spur mehr im Netz. Auch gut! Soll er in der Bedeutungslosigkeit versinken und damit meine These bestätigen, dass die Boshaften irgendwann, man muss nur warten können, über die eigene Boshaftigkeit stolpern, ja, auch Putin wird nicht mit 90 in seiner Datscha friedlich entschlafen. Am liebsten würde ich jetzt Konfuzius zitieren und seine Feinde im Fluss, lasse es aber, ich komme in dieser Kolumne so schon zu schlecht weg.

Andererseits: Wenn ich hier immer nur so tue, als sei ich super, hat auch keiner was davon.

Weil ich aber dann doch der versöhnliche Typ bin, eine versöhnliche Geschichte zum Schluss: Ich hatte einen Volksschullehrer vom selbst erklärten Typus „streng, aber gerecht“, was meist nur eine Ausrede für die eigene Lieblosigkeit ist. Er pickte jeden Morgen ein Kind heraus, am besten eines, das die anderen nicht leicht verprügeln konnten, und dieses Kind musste dann alle aufschreiben, die schwätzten oder hinter dem Rücken des Lehrers Unfug trieben. In die Stammbücher hat er immer den gleichen Satz geschrieben: „Erwarte viel von dir selbst und wenig von anderen, so bleibt dir mancher Ärger erspart.“ Ich habe ihn gehasst – und später gegoogelt, also viel später, nämlich als es Google gab. Ich fand eine Seite voll mit süßen Beiträgen seiner Schüler anlässlich seiner Pensionierung. Er habe immer so spannende Geschichten erzählt. Und sei so lustig gewesen.

Kann sein, das galt einem anderen Lehrer mit gleichem Namen. Ich aber glaube: Er hat sich geändert.

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