Hanna Reitsch: Hitlers Propaganda-Ikone

Hanna Reitsch Hitlers PropagandaIkone
Hanna Reitsch Hitlers PropagandaIkone(c) ORF
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Segelflug-Weltmeisterin, erste Überschallpilotin: Sie testete die „Wunderwaffe“. Im letzten Moment wollte sie den Kriegsverlauf noch mit Selbstmord-Piloten wenden. Eine ORF-Doku.

„Idole der Nazis“ – diesen griffigen Titel wählte der ORF für eine dreiteilige Serie, die am Donnerstag mit Otto Skorzeny begann. Der SS-Obersturmbannführer (1908–1975) wurde durch mehrere tollkühne Kommandounternehmen im Zweiten Weltkrieg berühmt, darunter die Befreiung des abgesetzten italienischen Diktators Mussolini am Gran Sasso d'Italia.

Am 9. Dezember (wieder ORF2, 21.05 Uhr) ist Hanna Reitsch die Titelheldin. „Hitlers Fliegerin“ von Gerhard Jelinek und Fritz Kalteis (Kamera: Franz Riess) heißt das kritische Porträt einer flugbesessenen Frau, deren Karriere Adolf Hitler nach Kräften gefördert hat. Eine „kleine Frau mit großem Willen“ nennt sie Jelinek, der zahlreiche Interviews mit Zeitzeugen – auch in den USA – gemacht hat. „Heldin und tragische Figur gleichzeitig“ ist sie für ihn.

Fliegen war ihr Leben

Hanna Reitsch aus dem Riesengebirge brach alle Rekorde des Flugsports. So wurde sie zum Star der NS-Propaganda. Sie flog den ersten funktionsfähigen Hubschrauber der Welt, testete das erste Überschallflugzeug der Geschichte und entwickelte Hitlers Geheimwaffen mit. Im letzten Moment wollte sie den Kriegsverlauf noch mit Selbstmord-Piloten wenden. Am 26. April 1945 startet Hanna Reitsch mit Ritter von Greim zu ihrem berühmtesten Flug: mitten durch russischen Beschuss ins eingeschlossene Berlin zu Hitler in den Führerbunker. Um ihn zur Flucht zu überreden. Erfolglos.

Evelyn Zegenhagen vom Smithonian Institute in Washington bringt die Widersprüchlichkeit des Lebens von Hanna Reitsch auf den Punkt: Sie benutzte Hitler – und er benutze sie. Sie ließ sich von einem Regime unterstützen, an das sie bis zu ihrem Tod glaubte. „Je nachdem, wen Sie befragen, war Hanna Reitsch entweder eine ungeheuer mutige Versuchsfliegerin, die noch heute einige Rekorde hält und wohl die begabteste Segelfliegerin aller Zeiten ist. Und wenn Sie andere befragen, war Hanna eine fanatische Vertreterin des Dritten Reichs, die sich mit den Machthabern identifiziert hat, die die Politik des Dritten Reichs zu ihrem eigenen Vorteil manipuliert hat und nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Mitschuld am Dritten Reich geleugnet hat.“

Österreichische Staatsbürgerin

Nach Hitlers Tod saß sie übrigens bald wieder im Cockpit. In ihrer Heimat als „Nazifliegerin“ gemieden, flog sie Indiens Ministerpräsidenten Pandit Nehru. Kennedy empfing sie im Weißen Haus. Da sie im Nachkriegsdeutschland nicht Fuß fassen konnte, entschloss sich die gebürtige Sudetendeutsche 1974, die österreichische Staatsbürgerschaft anzunehmen.

Der Fokus des Films liegt auf ihrem Werdegang von der unbekannten Segelfliegerin zur Propaganda-Ikone und wichtigsten (und tüchtigsten) Testpilotin des NS-Regimes. Wie war es möglich, dass eine Frau ins Herz der Rüstungsforschung und bis in Hitlers engsten Kreis vordringen konnte – und dennoch immer eine Außenseiterin blieb?

Reitschs Charakter scheint ambivalent: Ihre Kritik an Judenverfolgung und Rassenwahn steht neben dem bedingungslosen Einsatz für Großdeutschland – bis zum Ende und darüber hinaus – Hanna Reitsch hat sich nie glaubhaft distanziert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2010)

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