Culture Clash

Der Traum von der bosnischen Schweiz

Ein kleines Beispiel zum Mutmachen aus der Mitte Bosniens – in einer Zeit, in der der Respekt vor jedem anderen Menschen auf dem Prüfstand steht.

In Bugojno, mitten in Bosnien, lebten zu Beginn des Krieges 1992 rund 47.000 Menschen, fast die Hälfte muslimische Bosniaken, ein Drittel katholische Kroaten und das restliche Fünftel orthodoxe Serben. Im Krieg verbündeten sich zunächst die Bosniaken und Kroaten gegen die Serben, bevor sie dann doch aufeinander losgingen. Ein Jahr lang stand die Stadt unter kroatischem Beschuss, im Stadtteil Vrbanja verübte die kroatische Armee ein Massaker an Bosniaken. Mit der bosnischen Gegenoffensive begann die grausame Verfolgung und Ausplünderung der Kroaten. So gut wie alle Serben und die meisten Kroaten flüchteten.

Nur wenige Kroaten und kaum Serben sind nach dem Krieg zurückgekehrt. Heute hat die Stadt 35.000 Einwohner, an die 80 Prozent sind Bosniaken. Der verstärkt muslimische Charakter hat vor wenigen Jahren mit dem von Saudiarabien finanzierten Bau einer der größten Moscheen des Landes sichtbaren Ausdruck gefunden. Umso beachtenswerter ist der kleine Akt persönlichen Großmuts, der vor wenigen Tagen seinen Abschluss gefunden hat.

Erzbischof Vinko Puljic hat Anfang August eine neu erbaute katholische Kirche in Bugojno geweiht. Das Kirchlein ist bescheidener als die Moschee, aber das Besondere an ihm ist, dass sein Bau von einem Muslim initiiert und finanziert wurde: „Ich mache das, damit die Leute sehen, dass man zusammenleben kann. Es gibt keine Schönheit ohne das Miteinander der Gemeinden. Das ist unser Reichtum“, sagt der 68-jährige Husejn Smajic, der mit einer Katholikin verheiratet ist („mir gelingt es schon seit 45 Jahren, mit meinem Feind zu leben“). Auf seinem Grund hat er Überreste einer wohl von den Osmanen im 15. Jahrhundert zerstörten Kirche entdeckt und dort die neue Kirche errichten lassen.

Tito hat es nicht geschafft, im jugoslawischen Kommunismus die Konkurrenz der Volksgruppen aufzulösen. Gelingt es einer freieren Gesellschaft besser, mit Menschen wie Husejn Smajic, die für den Respekt stehen, der allen Menschen gebührt? Hoffnung gibt es: In einer Umfrage 2017 haben 73 Prozent der Bosnier dem Satz zugestimmt: „Es ist besser, wenn die Gesellschaft aus unterschiedlichen Nationalitäten, Religionen und Kulturen besteht“ – mehr als in allen anderen der 18 einbezogenen osteuropäischen Länder. Und es gibt Vorbilder. Mihovil Klisanin, eine Mitfeiernde bei der Kirchweih, sagte zu Journalisten: „Wenn wir wie Husejn Smajic solche Liebe zueinander hätten, würde niemand mehr nach Deutschland, Österreich oder in die Schweiz auswandern. Wir würden uns hier unsere eigene Schweiz machen.“

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2022)

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