Mein Dienstag

Rettet den Witz!

Liegt es an der Atomisierung der Gesellschaft, die den gemeinsamen kulturellen Humus verweht, auf dem die besten Gags blühen? Oder hat das Meme den deklamierten Scherz verdrängt?

Seit Längerem plagt mich diese Frage: wieso erzählen wir uns keine Witze mehr? Verstärkt durch die soziale Isolation während zwei Jahren Pandemie hatte ich den Eindruck, dass die wunderbare kulturelle Errungenschaft des Witzerzählens vom Aussterben bedroht sei. Zumindest hatte ich die letzten beiden wirklich guten, die mir dauerhaft in Erinnerung geblieben sind, schon vor gut einem Jahrzehnt gehört (den von Lenin im galizischen Ort Poronin konnten langjährige Leser dieser Kolumne schon 2015 hierorts lesen, der andere, von Prinz Charles mit Trappermütze auf offiziellem Besuch in Scunthorpe, funktioniert nur im englischen Original). Liegt es an der Atomisierung der Gesellschaft, die den gemeinsamen kulturellen Humus verweht, auf dem die besten Gags blühen? Oder hat das Meme in den sozialen Medien, also der slicke Bildwitz, den deklamierten Scherz verdrängt? Ich grüble weiterhin, vielleicht gibt das beizeiten Stoff fürs Feuilleton ab; für sachdienliche Hinweise Ihrerseits bin ich jederzeit dankbar.

Der kurze Besuch im heimatlichen Wien hat wenigstens meine schlimmsten Befürchtungen zerstreut. Man erzählt sich da noch richtig gute Witze, und folgenden, den mir eine liebe Kollegin darbrachte, möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. Also: Wahlen im Himmel, der Hl. Petrus verkündet als Leiter der Wahlkommission das Ergebnis. 99,9 Prozent für die Christlichsoziale Partei, aber – oh Schreck – eine Stimme für die Sozialdemokraten. „Bei aller Unterstützung des demokratischen Pluralismus, liebe Freunde, werdet Ihr verstehen, dass das in diesem Kreis hier nicht geht“, erklärt Petrus. „Ich bitte denjenige, der diese Stimme abgegeben hat, vorzutreten, und seine Wahl rückgängig zu machen.“ Kurzes Gemurmel, Füßescharren, Flügelflattern. Dann tritt Josef vor. „Du, Josef? Warum?“, fragt Petrus. „Nu, als Zimmermann wollte ich meine Solidarität mit den Arbeitern ausdrücken.“ Petrus: „Das ist edelmütig, aber Du verstehst: es geht nicht.“ Josef kratzt sich am Kopf, denkt kurz nach, dreht sich um und ruft: „Maria, nimm den G'schroppen und den Voda, mia gengan!“ Abgang Bühne links, Vorhang, Applaus.

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

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