„Ich werde gerollt, verbringe meine Zeit liegend, warte auf die OP.“
Unfall

Man nennt mich die kaputte Schulter

Die Medizin der Gegenwart ist nicht zu verachten: In der Nacht wäre ich fast verblutet, heute darf ich schon wieder nach Hause.

Das Unglück kommt oft ohne Vorankündigung. Ich weiß noch: Alles ist friedlich vor meinem Unfall. Ich gehe schnell, denn ich habe es eilig. Heute muss ich auf der Pädagogischen Hochschule unterrichten. Ich sehe die Stelle nicht. Glatteis. Ich rutsche. Ich rutsche aus. Ohne Vorwarnung verliert der Himmel sein Gleichgewicht. Dann: nichts mehr. Ich bin eine schwarze Stelle, die auf der rollenden See des Asphalts schwimmt. Alles bewegt sich um mich herum in meinem Schwindel, nur ich halte still. Geschwollen fühlt sich mein Körper an. Ich bin ein Fleck, und in meiner Schulter pulsiert es wie verrückt. Dann eine weibliche Stimme: „Sind Sie gefallen?“

Ich weiß es nicht, ich weiß nichts. Ich winde mich. Ich kann nicht mehr atmen. Kann nicht mehr in die Schulter hinein atmen. Die Frau telefoniert. Jemand bringt eine Decke. Jemand hält meinen Finger, nur die Kuppen. Ich fühle noch etwas. Aber nicht viel. Die Berührung an der Kuppe ist alles, was ich spüre, neben dem Schmerz und der Atemlosigkeit. „Bis da wer kommt, ist sie tot!“, höre ich jemanden sagen. Ich sehe nur den Himmel. Sanitäter erscheinen: „Können Sie sich drehen?“ Man will mich zur Seite kippen, ich schreie vor Schmerz.

Es dauert, bis man mich vom Boden weggekratzt hat. Man hat mich zur Seite gekippt, dann gehoben. Ich bin wie ein Stein. Von der Schulter geht das Nichts aus, und es geht bis in die Beine hinein. Um mich ist es kalt. Frost. Dünne Wolken über den Himmel verstreut. Sie schieben mich ins Auto, es fährt, die Räder des Hügels hinterm Fenster kreisen in der Kurve, das ist alles. Blendende Landschaft in der Ferne. Meine Zähne schmerzen. Ich wundere mich, immer noch am Leben zu sein. Irgendwann haben wir das Krankenhaus erreicht.

Eine Krankenschwester hilft mir, mich auszuziehen, für das Röntgen. Ich sterbe vor Schmerz. Sie knöpft mir den BH auf. „Ich bin darin nicht so gut bei anderen“, gibt sie zu. Ich lache: „Ich auch nicht.“ Sie ist freundlich. Sie will, dass ich mit Würde behandelt werde, bedeckt mich mit einem weißen Gewand. „Die männlichen Kollegen geht Ihr Körper nichts an“, sagt sie. Dann schiebt man mich in eine Röhre. Es folgt die ernüchternde Diagnose: „Die Schulter ist zertrümmert!“ Ich will das gar nicht wahrhaben. „Ich muss zur Hochschule, unterrichten!“, sage ich. „Das geht jetzt nicht, wir werden in ein paar Stunden notoperieren!“

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