Der strategische US-Feind Nummer eins sitzt in Peking

Geopolitik. Im Kampf um die Vorherrschaft richtet die Sicherheitsstrategie der USA den Fokus auf China. Auch Londons Geheimdienst schlägt Alarm.

Wien/Washington. Immer kam etwas dazwischen, zuletzt Wladimir Putins Krieg in der Ukraine. So unterschiedlich sie auch sind, so frappant ist doch die Kontinuität in der Stoßrichtung ihrer Außenpolitik: Barack Obama, Donald Trump und Joe Biden haben China als strategischen Feind Nummer eins, als gefährlichsten Herausforderer einer demokratischen, nach westlichen Welten orientierten Weltordnung ausgemacht – wobei Trump seinen Akzent auf die Konkurrenz in der Wirtschaft gelegt hat.

Der Kampf um die Hegemonie im 21. Jahrhundert zwischen Washington – und mithin dem Westen – und Peking umfasst indes alle Bereiche von der Geopolitik über das Militär bis zur Hochtechnologie. Dies skizziert die US-Sicherheitsstrategie, die die Biden-Regierung nun mit halbjähriger Verspätung vorgelegt hat. Das Resümee des Reports ist knapp und deutlich: „Peking will seine Einflusssphäre im indopazifischen Raum erweitern und die führende Macht der Welt werden.“ China verfüge über die „wirtschaftliche, diplomatische, militärische und technologische Macht, die internationale Ordnung umzugestalten“. Jake Sullivan, Bidens Sicherheitsberater, ist überzeugt: Das nächste Jahrzehnt werde in diesem Ringen der Supermächte entscheidend sein.

Rote Liste für Hochtechnologie

Im Gegensatz zur unmittelbaren Gefahr der imperialistischen Großmachtpolitik Putins gehe von China eine langfristige Bedrohung aus. Das Strategiepapier bestreitet zwar, dass die USA einen neuen kalten Krieg lancieren. So sucht Washington die Kooperation mit Peking bei der Überwindung globaler Herausforderungen wie der Klimakrise. Die Pandemie und Schwierigkeiten bei den Lieferketten haben aber das gegenseitige Misstrauen, die Anfälligkeit des globalen Systems und die Abhängigkeiten aufgezeigt.

In vielerlei Hinsicht erinnert der Kampf der Systeme, das Duell Demokratie versus Autokratie, indes an die Auseinandersetzung des Kalten Kriegs. Die USA haben China gleichsam auf die rote Liste für den Export von Chips und Halbleitern aus dem Westen gesetzt, während sie selbst darangehen, Unternehmen für die Chipproduktion im eigenen Land anzusiedeln. Das Dokument zur Sicherheitsstrategie urgiert zudem massive Investitionen in die Infrastruktur und eine weitere Modernisierung des Militärs, das weltweit führend und ohnehin mit dem höchsten Budget ausgestattet ist. All dies soll die rapide technologische Entwicklung Chinas zumindest bremsen. In puncto Cyberkrieg, künstlicher Intelligenz, Tarnkappentechnik und sensibler Waffensysteme hat das KP-Regime große Fortschritte erzielt.

„Schlüsselmoment“

Eine drastische Warnung des britischen Geheimdienstchefs, Jeremy Fleming, unterstreicht das Bedrohungsszenario. Es handle sich um einen „Schlüsselmoment der Geschichte“, der den Westen und seine Geheimdienste zum Handeln zwinge. In einer Rede in einem britischen Thinktank sagte er, Peking wolle die „Regeln der internationalen Ordnung neu schreiben, wie wir sie noch nie gesehen haben“. Peking ziehe ein Netzwerk auf, und es bediene sich digitaler Währungen, Satellitensysteme und anderer Hochtechnologie, um den Einfluss auszuweiten und Kontrolle auszuüben. Fleming warnte explizit vor vermeintlich günstigen Deals mit China und spielte dabei offenkundig auf das G5-Netz des Staatskonzerns Huawei an.

Die Forcierung einer digitalen Währung sei geeignet, internationale Sanktionen wie aktuell im Fall Russlands zu umgehen, sagte der Geheimdienstchef vor dem Hintergrund des Dauerkonflikts mit Taiwan. Chinas KP ziehe zweifellos ihre Lehren aus dem Ukraine-Krieg. Noch freilich dominiert der Dollar als Leitwährung den Weltmarkt. Gegenüber einem Anteil von 88 Prozent für den Dollar nehmen sich die vier Prozent für den Yuan recht mickrig aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2022)

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