Medizin

Steirische Forschung geht unter die Haut

Dermale OFM: Infos zu Krankheiten kommen direkt aus der Haut.
Dermale OFM: Infos zu Krankheiten kommen direkt aus der Haut.Joanneum Research
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Gewebeproben sind längst tot, wenn sie unter dem Mikroskop landen. Forschende der Joanneum Research entwickeln Technologien, um an lebender Haut zu beobachten, wie Krankheiten entstehen und Medikamente wirken.

Eine Gelse sticht, die Haut schwillt an und rötet. Der Nickelallergiker bezahlt den Modeschmuck mit roter Haut. Das Kind mit atopischer Dermatitis kratzt den Juckreiz weg. Das Resultat ist von außen betrachtet dasselbe – wie es dazu kommt, versucht die Wissenschaft mit neuen Methoden zu klären.

In der klinischen Routine werden unklare Hautveränderungen ausgeschnitten, der Forschung genügt diese Momentaufnahme jedoch nicht. Thomas Birngruber und sein Team von Joanneum Research in Graz setzen hauchdünne Plastikschläuche, sogenannte Katheter, in die Haut ein, um Flüssigkeit der Zellzwischenräume zu sammeln.

Rätsel kranker Haut aufdecken

„Open Flow Microperfusion (OFM) ist weniger invasiv als eine Biopsie, es zerstört die untersuchte Haut nicht. Neuartig ist auch, dass wir einen zeitlichen Verlauf haben, wir können im Lauf der Entzündungsreaktion zu jeder Zeit Moleküle und auch ganze Zellen aus der Haut entnehmen“, erklärt Birngruber und setzt dazu an, die Anwendungsmöglichkeiten seiner neuen Methode zu illustrieren.

Die molekulare Ebene soll Merkmale einer rätselhaften Hauterkrankung aufdecken, die von außen nicht sichtbar sind: Dermatologen beschreiben die atopische Dermatitis als trockene, gerötete und schuppige Haut. Der Krankheitsverlauf ist von Patient zu Patient verschieden und lässt sich aus der oberflächlichen Betrachtung nicht ablesen. Das groß angelegte EU-Projekt „ImmUniverse“ erforscht maßgeschneiderte Therapien der atopischen Dermatitis und greift dazu auf die Expertise von Birngruber zurück. „Die atopische Dermatitis ist eigentlich eine heterogene Gruppe von Erkrankungen. Von außen sieht man nur die Entzündung. Mittels OFM analysieren wir, welche Biomarker ausgeschüttet werden, und entnehmen die eingewanderten Immunzellen, um sie zu charakterisieren“, so Birngruber. „ImmUniverse“ will so bis 2024 Biomarker und Zellcharakteristika der atopischen Dermatitis finden, die bereits bei Diagnose den Verlauf vorhersagen und die ideale Therapie bestimmen.

Allergie gezielt auslösen

Um neue antiallergische Therapien zu finden, benötigt man entweder viele Patienten – oder man erzeugt die Krankheit einfach selbst. Unterschiedliche Stoffe können eine allergische Reaktion auslösen, allen gemeinsam ist, dass sie zur Ausschüttung von Substanz P führen. „Die Substanz P ist ein Signalmolekül, das von Nervenzellen ausgeschüttet wird und an der Haut zu einer Entzündung führt, also quasi die gemeinsame Endstrecke einer jeden allergischen Reaktion ist“, so Birngruber. Mittels OFM wird Substanz P in die Haut eingebracht und dirigiert so bei gesunden Probanden eine allergische Reaktion. An diesen gezielt irritierten Hautabschnitten werden Medikamente auf ihre antiallergische Wirkung getestet.

Während weitere Studien mit sogenannten Schmetterlingskindern mit der Krankheit Epidermolysis bullosa und chronischen Wunden laufen, forscht der Biomediziner auch über die Haut hinaus oder wortwörtlich darunter. „Unsere OFM-Katheter werden in Muskel- und Fettgewebe und an der Mayo Clinic in den USA sogar in Hirngewebe eingeführt“ erklärt Birngruber, sichtlich stolz darauf, die molekulare Aufregung lebender Zellen zu belauschen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2022)

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