Culture Clash

Die Schleifeprüfung

Über Katar und Cordoba, die Einsamkeit der Verfolgten, Enzensberger und die Zivilreligion des Regenbogens. Und die Frage: Wie standhaft bin ich selber?

Die Geschichte der politischen Gesten im Sport ist wahrscheinlich reicher als die Geschichte der sportlichen Gesten in der Politik. Ich denke da etwa an die im deutschen Team diskutierten Pläne bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien, dem Junta-Chef Jorge Rafael Videla im Falle eines Sieges die Hand nicht zu schütteln. Oder sie so fest zu schütteln, dass es wehtut. Wir wissen alle, warum es die Deutschen damals nicht bis zur Siegerehrung geschafft haben. Aber wer weiß, was sie dann tatsächlich getan hätten. Und ob sich Videla sehr gekränkt hätte. Und ob es überhaupt groß aufgefallen wäre oder zumindest denen Mut gegeben hätte, die in Hörweite des Endspielstadions in der ESMA, dem größten Folterkeller der Diktatur, eingesperrt waren.

Vielleicht wäre ein Sieg über die Gastgeber der wirksamste Dienst an den Verfolgten gewesen. Die Bürgerrechtlerin Gabriela Daleos war eine der wenigen, die die Haft in der ESMA überlebt haben und darüber berichten konnte. Als die Wachen schrien: „Wir haben gewonnen!“, habe sie gedacht: „Wenn sie gewonnen haben, haben wir verloren.“ Die Schergen nahmen sie mit zu einer Autofahrt durch die jubelnde Menge. Sie habe kaum noch atmen können, und: „Ich wusste, wenn ich jetzt schreien würde: Ich bin eine von den Verschwundenen! – niemand würde das kümmern. Das ist Einsamkeit.“

Der Impuls, nicht tatenlos in einem Unrechtsstaat zu spielen, ist gut. Er zeugt von Gewissen. Aber es muss einem doch klar sein, dass man wenig ausrichtet und auch niemandem Mut gibt, wenn man sich von einem Unhold einladen lässt, dort aber mannhaft auf das Dessert verzichtet. Vielleicht war das aber ohnehin nicht die Motivation jener Teamkapitäne, die mit einer – im katarischen TV wohl kaum sichtbaren – Regenbogenschleife auftreten wollten. Vielleicht ging es eher um eine Selbstlossprechung von der Sünde der Turnierteilnahme – stellvertretend für die ganze eigene Fußballnation.

Absolution ist ein religiöser Akt. Es ist folgerichtig, dass dafür die von der Fifa genehmigte schwarze „No Discrimination“-Schleife nicht in Frage kommt, sondern es das Signum der aktuellen westlichen Zivilreligion sein musste, der Regenbogen. Und bevor man über die Spieler oder den DFB herzieht, denen Toleranz und Diversität zwar etwas wert ist, aber doch nicht so viel wie eine Gelbe Karte, sollte sich jeder selber prüfen – im Licht eines Gedichtes des großen Hans Magnus Enzensberger: „Altar oder Kühlschrank:/Vor die Wahl gestellt,/so mancher frommer Glaube,/glaubt mir, geriete ins Wanken.“

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2022)

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