Mein Freitag

Was Gustav Klimt aus diesem Fenster sah

Reisende schauen genauer auf Gedenktafeln.

Wie sagt man? Lang geredet, guter Sinn“, sagt die junge Frau mit spanischem Akzent zu ihrer Begleiterin. So wird aus „Lange Rede, kurzer Sinn“ etwas Neues, Erweitertes. Es hat sicher auch einen kulturellen Hintergrund: Das eine Deutsch, prägnant, auf den Punkt gebracht, das andere die Sinnhaftigkeit des langen Austauschens preisend.

Man hört derzeit viele Akzente und fremde Sprachen in der Stadt. Auch die amerikanischen Touristen sind zurück in Wien, und es ist interessant zu beobachten, was sie begeistert. Weniger die imposante Glitzerkulisse am Rathausplatz, auch wenn sich hier kaum jemand dem hin- und herfliegenden Leuchtherz entziehen kann. Ist das schon jenseits allen Kitsches oder hat es noch ein wenig Witz? Eine Seilbahn für ein Herz, da könnte man lang ausholen. Die Freude der Besucher auf dem neu gestalteten Christkindlmarkt ist jedenfalls greifbar. Dieses Jahr wird alles dankbar angenommen, trotz der Preise, trotz der Schlangen, trotz des noch zuckrigeren Glühweins.

US-Touristen hingegen begegnen einem an weniger überlaufenen Plätzen. Vor einem Haus etwa im siebten Bezirk, in dem Gustav Klimt (im dritten Stock) gewohnt hat. Das muss man gezielt suchen, da führt keiner der gewohnten Wege einfach vorbei. Auch die Gedenktafel für Stefan Zweig im 8. Bezirk nimmt man nicht einfach im Vorbeigehen mit. Woher kommt die Faszination mit Orten, an denen berühmte Menschen gewohnt haben? Dass man sie bei einem Urlaub unbedingt besuchen will, nur um von außen auf die Fensterläden zu starren?

Es hat sicher etwas mit der Verortung von nicht fassbarer Kreativität zu tun. Aus diesem Fenster schaute jemand, der Geniales schuf, diese Straße ging er oder sie entlang, wahrscheinlich täglich. Auch wenn vieles mittlerweile anders aussieht. Aber vor Klimts Haus liefen damals schon die gleichen Straßenbahnschienen.

E-Mails an:friederike.leibl-buerger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2022)

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