Christoph Ransmayr

Am Grab von Hans Magnus Enzensberger

Hans Magnus Enzensberger, Dichter, Übersetzer, Herausgeber, Lektor, eine der wichtigsten intellektuellen Stimmen Deutschlands, ist am 24. November gestorben.
Hans Magnus Enzensberger, Dichter, Übersetzer, Herausgeber, Lektor, eine der wichtigsten intellektuellen Stimmen Deutschlands, ist am 24. November gestorben.Kirchgessner / laif / picturedesk
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Am Mittwoch wurde Hans Magnus Enzensberger zu Grabe getragen. Sein Freund und Kollege Christoph Ransmayr rief ihm nach – und erinnerte sich an jenen Tag im Sommer vor über zwanzig Jahren, als die Vögel verstummten und ein kalter Wind anhob, ein Wind der Finsternis.

Am 11. August des Jahres 1999, einem im Alpenraum wechselnd bewölkten Mittwoch, glitt der Mond in seiner gebundenen Rotation, die den Erdbewohnern immer nur eine Seite ihres Trabanten zeigt, zwischen die Bahnen von Sonne und Erde. Sein Schatten huschte dabei mit einer Geschwindigkeit von fünfzigtausend Stundenkilometern über den Atlantik, verlangsamte sich über dem europäischen Kontinent auf weniger als dreitausend Stundenkilometer und verdunkelte auf einer etwa hundert Kilometer breiten und nahezu vierzehntausend Kilometer langen, von Nova Scotia bis an den Golf von Bengalen reichenden Schattenbahn Land und Wasser in einer Kette von totalen Sonnenfinsternissen.

Auch für die steilen, vom Fleckvieh in Stufen getretenen Bergwiesen um jene Almhütte am Rand des oberösterreichischen Höllengebirges, die ich damals in den Sommermonaten als Pächter bewohnte, war eine totale, knapp zweieinhalb Minuten dauernde Finsternis berechnet worden, eine Sensation, wie sie in diesem Landstrich seit einhundertsiebenundfünfzig Jahren nicht mehr zu sehen gewesen war – und von diesem Augusttag an gerechnet, erst in zweiundachtzig Jahren wieder zu sehen sein sollte.

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