Erziehung: "Jetzt lass doch den Papa machen"

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Immer mehr Väter kümmern sich um ihre Kinder. Vielen Müttern fällt es jedoch schwer, in dieser Zeit loszulassen. Das sollten sie aber, sagen Experten. Dads erziehen zwar anders, doch das ist gut so.

Auf dem Sparefroh–Spielplatz im Donaupark ist die Hölle los. Mitten drin steht ein Vater und sieht gelassen zu, wie sein ungefähr vierjähriger Sohn einen Roller den steilen Weg des Rutschenbergs hinaufschiebt. Oben dreht der Bub um und macht sich zur Talfahrt bereit. Plötzlich wird die Mutter auf die Szene aufmerksam. Mit einem Schrei rennt sie los und fängt das Kind nach den ersten Metern ab. Das Ergebnis ist ein heftiger Wortwechsel, dessen Kernaussagen weithin zu hören sind: „...viel zu gefährlich“ – „...hat doch eh einen Helm auf“, – „...wirklich verantwortungslos“ – „...echt hysterisch“, – „...wird keine 18 werden“ – „...bisher auch nichts passiert“. Die Eltern sind sauer, das Kind aufgelöst, aber parteiisch: „Jetzt lass doch den Papa machen.“

Solche Auseinandersetzungen sind in Partnerschaften mit Kindern gar nicht so selten. Und werden wohl auch nicht weniger werden, je mehr Väter sich selbstständig in die Erziehung ihrer Kinder einbringen und Verantwortung übernehmen: sei es in Form eines Papamonats, den es seit Anfang dieses Jahres für Österreichs Beamte gibt, oder in Form einer Karenzierung, die immer mehr Männer in Anspruch nehmen.

So mancher dieser „neuen Väter“ klagt allerdings darüber, dass man ihn eben nicht „machen lässt“. Viele Mütter finden es schwer, in der Zeit, in der der Vater für das Kind zuständig ist, die Kontrolle abzugeben. Diese Unfähigkeit loszulassen nimmt viele Gestalten an: Im besten Fall sind es häufige Kontrollanrufe, im schlimmsten Fall ständige Bevormundungen und Streitereien, die die Beziehung ernsthaft belasten können. „Mütter tun sich wahrscheinlich bis zu einem gewissen Grad schwer damit, dass die Dinge auch ohne sie so gut laufen wie mit ihnen – nur halt anders“, meint auch Hubert Nagele, selbst „begeisterter Vater“ und gemeinsam mit Sylvia Rechberger und Werner Stenzel Betreiber der Internet-Plattform „freshdads“.

Fürsorge gegen Abenteuer. Bei aller Sympathie für die Fürsorglichkeit der Mütter schlagen sich Experten allerdings klar auf die Seite der Väter. „Lasst doch den Männern ihren Stil“, forderte etwa der Familientherapeut Achim Schad zuletzt im Rahmen des Jako-o-Familienkongresses: „Wenn ihr sie ein bisschen in Ruhe machen lasst, haben sie richtig Spaß daran und die Kinder profitieren sehr.“

Die Vorteile lassen sich sogar ganz konkret benennen. Untersuchungen haben gezeigt, dass Väter und das Vorbild, das sie geben, vor allem für Buben praktisch unersetzlich sind. Jungen, die ein gutes und enges Verhältnis zu ihren Vätern haben, zeichnen sich durch ein besseres Sozialverhalten und ein stärkeres Selbstwertgefühl aus. Sie fügen sich leichter in Gruppen ein und tun sich deshalb auch in der Schule leichter, sind weniger destruktiv und, wie der deutsche Hirnforscher Gerald Hüther betont, auch weniger anfällig für Annäherungsversuche in einem Missbrauchskontext. Eine Untersuchung des amerikanischen Scholastic-Verlags hat jetzt sogar ergeben, dass das Leseverhalten von Buben von einem einzigen Faktor maßgeblich beeinflusst wird: wie viel der Vater liest.

Die Stärken der Väter sind dabei genau das, was viele Mütter als Schwächen empfinden. „Mütter agieren eher fürsorglich, behütend, manchmal übervorsichtig“, erklärte Familienexperte Schad seinen Zuhörern. „In der Erziehung von Vätern haben mehr Aktionen mit einer gewissen Risikobereitschaft Platz.“ Väter sind vielleicht nicht so organisiert wie Mütter und haben nicht immer alle Dinge dabei, die das Baby oder das Kleinkind so brauchen könnte. Aus dieser Sorglosigkeit und Lockerheit entstehen dafür allerdings auch mehr Spielräume, die der Nachwuchs meistens mit Gusto ausnützt. Außerdem genießen viele Kinder jede Abwechslung in der täglichen Routine.
Alles nur ein Klischee? Bleibt die Frage, ob man es hier nicht mit einem Klischee zu tun hat, das sich selbst erfüllt. Selbstverständlich gibt es auch sorglose, eher desorganisierte Mütter und übervorsichtige, perfekt vorbereitete Väter. Hubert Nagele ist allerdings nur einer von vielen Vätern, deren praktische Erfahrungen eher das Vorurteil zu bekräftigen scheinen: „Meine Partnerin ist ebenfalls recht abenteuerlustig. Dennoch bin eher ich es, der für Erkunden, Entdecken, Ausprobieren zuständig ist.“

Laut Achim Schad profitieren aber nicht nur die Kinder von den unterschiedlichen Erziehungsstilen der beiden Elternteile – auch den Frauen kann es Vorteile bringen, sich in Lockerheit zu üben: „Lernt eine Mutter loszulassen, ist es nicht nur eine Entlastung für sie, sondern gleichsam eine Bereicherung für die Vater-Kind-Beziehung.“ Wenn das Kind beide Eltern als gleichwertige Bezugspersonen wahrnehme, verringere sich außerdem die Gefahr, dass das Verhältnis zur Mutter allzu „klebrig“ werde – ein Umstand, der niemandem guttue.

Daher könnten Mütter bei den Vätern auch noch einen Crashkurs in Sachen gesunder Egoismus belegen. Männern gelinge es nämlich viel besser, meint Schad, sich von ihren Kindern abzugrenzen. Und das sei nicht nur für sie von Vorteil – sondern auch für die Kinder.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2011)

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