Einwurf

Die inhaltliche Erinnerung stärken

Politische Persönlichkeiten wie Haider lösen auch heute noch Faszination aus. Die Medien sollten den Fokus verschieben.

Schicksalstage Österreichs – Die Stunde des Jörg Haider“ lautet der Titel eines interessanten Beitrags über den Aufstieg von Haider, den ich letztens gesehen habe und der heute, 11. Februar, um 20.15 Uhr, auf ORF III ausgestrahlt wird. Darin wird unter anderem die Rolle der Medien beleuchtet: Haider dominierte rund um den FPÖ-Parteitag 1986 die Nachrichtensendungen und die Titelblätter zahlreiche Journale. In der zeitgeschichtlichen Analyse wird deutlich, dass diese intensive Beschäftigung mit den populistischen Führungsfiguren, die rechte Parteien immer wieder an die Spitze bringen, letztlich beim Aufstieg hilft.

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So interessant der Beitrag über Haider auch die verschiedenen Facetten der Ereignisse von 1986 herausarbeitet, unterliegt er aus meiner Sicht auch dem Fehler einer detaillierten Beschreibung einer vielschichtigen Persönlichkeit, die wie ein Chamäleon an die Spitze der FPÖ kam. Und egal, ob man die Figur sympathisch oder unsympathisch empfand, der Beitrag über die Stilisierung zu einem negativen Helden löste beim Betrachter eine Form der Faszination aus.

Rasches Vergessen

Wenn wir heute bei aktuellen Wahlen und Umfragen verwundert auf den Aufstieg einer Partei blicken, deren Proponenten in der Vergangenheit wiederholt gezeigt haben, dass sie Österreich mehr schaden als nützen, müssen wir uns fragen, wie es sein kann, dass die Menschen in unserem Land so rasch vergessen. Ich vermisse in den Medien die kritische Auseinandersetzung mit den inhaltlichen Leistungen einer Partei, die wiederholt bewiesen hat, welche Konsequenzen es hat, wenn sie an die Macht kommt.

Es wäre wünschenswert, eine Darstellung der Leistungen der FPÖ in der Öffentlichkeit intensiver zu bearbeiten. Seien es die Folgen der Hypo-Alpe-Adria-Affäre, die ein ganzes Bundesland fast in den finanziellen Ruin getrieben hat, seien es die inzwischen teilweise rechtskräftigen Verurteilungen verschiedener Proponenten der FPÖ, die in der oder rund um die Parteispitze tätig waren. Seien es die Leistungen mancher ehemaligen FPÖ-Minister, die neben Auffälligkeiten im Auftreten besonders durch zahlreiche Fehlentscheidungen aufgefallen sind. Sei es ein ehemaliger FPÖ-Bundesparteiobmann, der österreichische Aufträge einer vermeintlichen Oligarchin angeboten und offen erklärt hat, wie Korruption hierzulande funktioniert. Die Schwächen der FPÖ und ihres Führungspersonals sind offensichtlich. Trotzdem gelingt es ihren Proponenten derzeit wieder, Wahlen zu gewinnen, und viele sehen entsetzt zu.

Die zentralen Fragen

Es ist höchste Zeit, dass wir eine Verschiebung des Fokus vornehmen: Weg vom Betrachten der Persönlichkeiten und von der Faszination, die von ihnen ausgeht, und hin zu den Inhalten beziehungsweise zu den Konsequenzen deren Handelns. Was hat wer wann geleistet, welche Auswirkungen haben die Beteiligungen der FPÖ in Regierungen gehabt? Welche Programme stellen sich Parteien für die Lösung unserer zukünftigen Probleme vor? Und welche der verglichenen Programme sprechen uns am meisten an? Dies müssten die zentralen Fragen sein.

Diese wichtige inhaltliche Auseinandersetzung medial in die Bevölkerung zu tragen wäre eine Aufgabe, die demokratiepolitisch jener Gruppe zufällt, die gern als die vierte Säule der Demokratie genannt wird. Fangen wir doch bitte deutlicher damit an! Es ist höchste Zeit, damit sich nicht Erlebnisse wiederholen, die Österreich mehr schaden als nützen.

Dr. Klaus Atzwanger (*1965) lebt in Wien. Er ist Verhaltenswissenschaftler und Unternehmensberater.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2023)

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