Kreiskys langer Schatten

Kreiskys langer Schatten
Kreiskys langer Schatten(c) APA/JAEGER ROBERT (JAEGER ROBERT)
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Bruno Kreiskys Vorgänger waren in der Vormoderne gefangen, seine Nachfolger haben sich in der Postmoderne verloren, er selbst verkörperte mit einigem Glück die Moderne.

Die Frage dominiert die meisten Gespräche über den heutigen 100.Geburtstag von Bruno Kreisky: Hätte der „Sonnenkönig“ und Medienkanzler heute eine Chance? Die Antwort lautet: Ja und nein. Ja, weil ein origineller Mensch mit umfassender Bildung immer eine Chance hat. Nein, weil unter den zeitgenössischen Bedingungen des medialen Transparenzterrors auch und gerade ein Mann mit Kreiskys Marotten zu einem gewissen Maß an Lächerlichkeit verurteilt wäre.

Das Bild von Bruno Kreisky, das in den Archiven der elektronischen Medien lagert, zeigt deutlich, wie es möglich war, dass ein eitler, kranker Mann, der Regieren nicht eigentlich als sein Handwerk, sondern als eine Art Begleitumstand des Lebens sah, das er gern führte, sich als Ausnahmegröße in der kollektiven Erinnerung etablieren konnte: Sein Wirken fand in jener medialen „Sattelzeit“ statt, in der die elektronischen Medien schon als Kommunikationsmittel gebraucht werden konnten und noch gut steuerbar waren. Kreisky konnte Art und Frequenz seiner medialen Präsenz, vor allem der bildlichen, noch weitgehend autonom bestimmen.

Auch die Analyse seiner inhaltlichen Prägekraft ergibt ein ähnliches Bild. Kreisky konnte zur politischen Ikone der Moderne nur werden, weil es genügte, den großen gesellschaftlichen Umbrüchen Ende der 1960er eine politische Form zu geben und gleichzeitig den skeptischen Konservativen durch großbürgerlichen Auftritt die Sicherheit zu vermitteln, dass sich alles nur deshalb ändere, weil es bleiben soll, wie es ist. Das individuelle Freiheitspathos einer Generation, die dabei war, aus der Hermetik einer patriarchalen Kleinbürgerwelt auszubrechen, musste nicht per Charisma erzeugt werden. Es reichte, es gütig zu administrieren.

All-in-Versorgungsmentalität irreversibel verfestigt

Und Kreisky hatte sogar in jenem politischen Feld historisches Glück, auf dem ihm das Können fehlte. Während in der restlichen Welt schon in den 1970er-Jahren das „fordistische“ System einer korporativ organisierten und staatlich gelenkten Wirtschaftspolitik den liberalen Paradigmen von Wettbewerb und Freihandel weichen musste, konnte Kreisky dank der durch die Besatzungszeit verzögerten Entwicklung den österreichischen Nachsommer des Fordismus genießen. Gravierender als der tatsächliche Schuldenstand am Ende seiner Regierungszeit war wohl, dass sich in diesem Extrajahrzehnt die All-in-Versorgungsmentalität irreversibel verfestigt hat.

Wer die heutigen Politiker gegen den Alten in einen Beauty-Contest schickt, muss bedenken, dass Kreisky das Glück hatte, die eineinhalb Jahrzehnte Moderne, die Österreich im 20.Jahrhundert gesehen hat, kraft seiner Herkunft und Statur verkörpern zu können. Seine Vorgänger waren in der Vormoderne gefangen, seine Nachfolger haben sich in der Postmoderne verloren.

Bruno Kreisky hätte es in unserer heutigen Postmoderne trotz oder gerade wegen seines am alten Kanon geschärften Sinns für den gesellschaftlichen Fortschritt nicht leicht. Um heute eine ähnlich gute Figur zu machen wie jene, die Kreisky in unserer Erinnerung darstellt, müsste man zu seinen Stärken noch einige dazu haben – zum Beispiel eine ungleich höhere Frustrationstoleranz als der grantige Alte.

Jede Zeit bringt ihre politischen Repräsentanten hervor. Wir leben nicht in großen Zeiten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2011)

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