Gastkommentar - Europatag 9. Mai

Europas Geschichte hat gezeigt: Demokratie braucht Gerechtigkeit

Die Vizepräsidentin des EU-Parlaments Evelyn Regner sieht in klug gemachter Besteuerung von Vermögen und Erbschaften einen wichtigen Beitrag für die Sicherung der Demokratie, denn diese braucht Gerechtigkeit - Ohne gerechte Verteilung kein Mittelstand, ohne Mittelstand keine Demokratie.

Für eine sozialdemokratische Europapolitikerin gibt es Anfang Mai einige symbolträchtige Tage. Angefangen mit dem 1. Mai, dem Tag der Arbeit, über den 8. Mai, an dem wir das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa begehen, bis hin zum 9. Mai - dem Europatag. An diesem feiern wir die Schaffung der Europäischen Union durch die Schuman-Erklärung - die Verbindung der deutschen und französischen Stahl- und Kohleproduktion, um kriegerische Konflikte der europäischen Staaten in Zukunft zu verhindern.

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Warum rufe ich dies nun zum 9. Mai 2023 in Erinnerung? Weil das seit 1945 geschaffene Fundament der Demokratie, das vom sozialen Ausgleich lebt, ohne regelbasierten politischen Wettbewerb und ohne eine starke Mittelschicht nicht überlebensfähig ist. Weil dieses Fundament im Angesicht von Dauerkrise, Pandemie, Krieg, Klimanotstand und Vermögensungleichheit ins Rutschen geraten ist - und zwar massiv.

Besonderen Anlass zur Sorge gibt neben der Klimakrise die aktuelle Teuerung. Die Kosten für Wohnung, Heizung und den Wocheneinkauf sind auch für große Teile der Mittelschicht immer schwerer leistbar. Schon länger bestätigen die Zahlen: Österreichs Wohlstand sinkt und ist gleichzeitig immer ungerechter verteilt. Im letzten Herbst stellt die Arbeiterkammer fest: Fünf Prozent der Bevölkerung besitzen 55 Prozent des Gesamtvermögens. Und trotzdem hat Österreich eine der niedrigsten Steuerquoten auf Vermögen. Das ist Gift für unsere Demokratie. Denn ohne gerechte Verteilung verfestigen sich nicht nur Abstiegsängste, sondern auch die Skepsis gegenüber dem Funktionieren unseres demokratischen politischen Systems. Wir sehen das in Europa bereits mit dem erneuten Erstarken rechter Parteien, mit dem Anstieg der Armut und vor allem: der Angst und Unsicherheit. Alarmierende Bedingungen und  von Seiten der österreichischen Bundesregierung passiert zu wenig. Die Europäische Union fängt einiges davon ab zum Beispiel mit dem Wiederaufbaufonds, der teilweisen Finanzierung des Klimatickets, der Stärkung der Gewerkschaften, sowie mit verpflichtenden Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen. Aber es braucht mehr.

Schreckgespenst Vermögensbesteuerung?

Die Besteuerung von großen Vermögen und Erbschaften wird gerne als Schreckgespenst an die Wand gemalt. Dabei muss niemand Angst davor haben, denn gerade die gerechte Verteilung von Vermögen bildet die Grundlage für eine starke Mittelschicht - und diese ist wiederum Fundament für eine starke Demokratie. Der Ansatz, Vermögen von oben nach unten zu verteilen, ist eine bewährte Maßnahme. Bereits der US-amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt hat mit seinem New Deal eine Vermögenssteuer eingeführt, um der demokratiegefährdenden Vermögenskonzentration Einhalt zu gebieten. Durch die eingeführte Vermögenssteuer konnte sich eine Mittelschicht bilden, die Vertrauen in das politische System hatte und den Wohlstand absicherte.

Jetzt geht es darum, dieses Vertrauen der Menschen in der gesamten EU zurückzugewinnen. Ihnen das Vertrauen in eine gute Zukunft zu geben, für sich und alle.

Ich bin mehr als überzeugt, dass mit der Einführung einer Vermögenssteuer für die großen Vermögen ein erster Grundstein dafür gelegt werden kann. Die Errungenschaften, die unseren europäischen Sozial- und Wohlfahrtsstaat ausmachen, auf die wir zu Recht stolz sein können, müssen nicht nur abgesichert, sondern weiter ausgebaut werden. Diese zusätzlichen Einnahmen könnten dann in unser Kranken- und Pflegesystem, in unser Bildungs- und Forschungswesen und in erneuerbare Energien investiert werden. Das vereinte europäische Ziel muss sein, den Wohlstand der Menschen im Einklang mit der Natur in den Mittelpunkt zu stellen.

Evelyn Regner (* 24. Jänner 1966 in Wien) ist eine österreichische Politikerin (SPÖ) und seit 2009 Abgeordnete des Europaparlaments (S&D). Im Jänner 2022 wurde sie zu einer der 14 Vizepräsidenten des EU-Parlaments gewählt.

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