Kens Rückkehr

Zum 62. Mal hat sich in den vergangenen Tagen alles, was in der Spielzeugwelt Rang und Namen hat, in Nürnberg versammelt – bei strengem Ausschluss der wichtigsten Zielgruppe: der Kinder. Ein Besuch auf der Spielwarenmesse 2011, Teil eins.

Was fehlt, ist ein Zug. Einer dieser spielzeugbunten Bummelzüge auf Rädern zum Beispiel, die Touristen durch Attraktionen aller Art, von Disneyland bis zur St. Pöltner Altstadt, kutschieren. Denn so ist die Nürnberger Spielwarenmesse, die größte ihrer Art auf der Welt, vor allem eines: groß. Mehr als 21 Fußballfelder würde die Ausstellungsfläche füllen, auf der sich nicht weniger als 2683 Unternehmen breitgemacht haben.

Eine Dimension, die ebenso von der nach wie vor wachsenden Bedeutung des Spielzeugmarktes – kaum ein Branchenriese hier, der in den vergangenen Jahren kein Umsatzplus verzeichnen konnte – zeugt wie von seiner enormen Vielfalt. Eine ganze Halle voller Spielzeugeisenbahnen gibt es hier ebenso wie die klassischen Brett- und Kartenspiele, in einer anderen finden sich unter dem Stichwort „Outdoor“ fast ausschließlich Fußbälle, Dreiräder und Wasserpistolen. Eine Halle weiter ist jede nur erdenkliche Variante an Babyspielzeug zu finden, in der benachbarten werben kostümierte Händler für den Kauf von Faschingsartikeln jeder Façon – vom Zombiekostüm bis zum Edelfeuerwerk (dass hier Hunderte Luftballons in Richtung Decke streben, versteht sich von selbst). In wieder einer anderen Halle stapeln sich Zehntausende Puppen, Teddybären und Holzfiguren in den Regalen von durch weiße Ausstellungswände umzäunten Zellen, die kleinsten davon gerade so groß, dass neben zwei Vertretern des Ausstellers und einigen Dutzend Plastikpuppen kaum noch ein Besucher Platz findet.

Viel mehr ist aber ohnehin nicht notwendig – denn eine Publikumsmesse war Nürnberg nie, unter 16 Jahren hat hier niemand Zutritt. Die Kinder, die wirkliche Zielgruppe aller hier verkauften Waren, fehlen hier komplett – und nur wenig verströmt so eine bizarre, traurige Atmosphäre wie Berge von Spielzeug ohne Kinder. Nürnberg, wo sich ältere Herren in Anzug und Krawatte gegenseitig Legosteine zuschieben, ist ein Wunderland ohne Bewunderer, ein Ort, an dem mit Spaß gehandelt wird, wo ihn aber niemand hat.

Zum 62.Mal hat sich in den 15 Hallen des Nürnberger Messezentrums praktisch alles versammelt, was in der Spieleindustrie Rang und Namen hat – oder ihn gerne hätte. Zumindest jener Teil der Industrie, der sich mit Produktion und Handel von „analogem“ Spielzeug befasst – Video- und Computerspielereien im klassischen Sinn sucht man in den Messeständen vergeblich.

Wobei der technische Fortschritt auch vor Spielwaren keinen Halt gemacht hat. Einer der großen Trends, die die Veranstalter der Messe, die am Dienstag zu Ende gegangen ist, heuer festgestellt haben, heißt etwas sperrig „App“isierung. Kaum einer der großen Hersteller, die nicht zumindest eines ihrer Exponate mit elektronischen Zusatzfunktionen ausgestattet haben, um technologieaffine Kinder an sich zu binden. Als Paradebeispiel für diese Strategie darf wohl der altehrwürdige deutsche Spielzeugeisenbahnbauer Märklin gelten.

Der mehr als 150 Jahre alte Betrieb – vor 62 Jahren zählte ihr Geschäftsführer Carl Ehmann zu den Gründervätern der Messe –,den Missmanagement in den vergangenen Jahren an den Rand des Ruins geführt hat, nutzt seinen überdimensionalen Stand, um sich „back in business“ zu präsentieren: Nicht nur, dass man fast ein Viertel der Modelleisenbahnhalle gebucht hat – Platz ist ein knappes (und teures) Gut, wer ihn hat, zeigt Präsenz und Stärke –, Märklin wartet auch mit einer Neuerung aus dem High- techbereich auf: Via Bluetooth-Funkverbindung können Eisenbahner ihre Modellzü-
ge jetzt auch von iPhones und iPads aus fernsteuern.

Wer aber wirklich wissen will, wie sich die Branche in Zukunft weiterentwickeln wird, muss sich auf den Weg zu den wahren Riesen der Industrie machen: Die haben ihre Lager im vergangenen Jahr gar nicht erst abgebrochen, sondern verfügen über permanente Ausstellungsräume in einem gesonderten „VIP“-Bereich der Messe, dem „Boulevard“. Hier, ein Stockwerk über den Niederungen der kleineren Händler, ist nichts mehr vom billigen Teppichboden- und Plastikwandcharme der Messe zu sehen, hier haben sich zwischen Steinfliesen und in Arkadenoptik verzierten Wänden Namen wie Playmobil oder Lego niedergelassen.

Aber vor allem findet sich hier auch – Mattel. Der weltgrößte Spielwarenhersteller hat keine Auslagen, durch die man ihm beim bloßen Vorbeigehen in die Karten schauen könnte. Wer das Neuste in Mattels grellfarbener Wunderwelt erleben will, muss dem Stand seine ganze Aufmerksamkeit schenken, sich beim Eingang anstellen und bei den rot uniformierten Damen hinter dem Tresen anmelden. Dann aber darf man sich auf einige Überraschungen gefasst machen – die größte: Ken ist wieder da.

Plastikmann plappert nach

Richtig, Ken, vielerorts spätestens seit seiner tragischen Gastrolle in „Toy Story 3“ als Barbies abgesägter Freund bekannt, war sieben Jahre lang aus der knallpinken Mädchenwelt verschwunden. Barbie hatte sich emanzipiert, war nicht nur als Pilotin, Kanzlerin und neuerdings als Fußballerin zurück– sondern auch als Single. Einen männlichen Gegenpart brauchte es in der modernen, starken Frauenwelt damals nicht mehr.

Heuer, genau zum 50.Geburtstag von Barbies Langzeitpartner, hat Mattel ihm eine neue Inkarnation zuteil werden lassen. Nach wie vor mit perfekt durchgestylter und -trainierter Figur, aber auch einem um nichts weniger symbolhaften Innenleben: Was immer man dem neuen Ken auch sagt, gibt er auf Knopfdruck wieder – in tiefer, „männlicher Stimme“. Setzt ein Mädchen Ken also Sätze wie „Barbie, ich liebe dich abgöttisch“ in den Kopf, stottert er sie elektronisch verzerrt immer und immer wieder, als ob sie seine eigene Message wären. Auch irgendwie gespenstisch. Mattel bewirbt ihren „Ultimate Dream Date Ken“ übrigens mit „Er weiß genau, was Frauen und Mädchen hören wollen“.

Einen sympathischeren Dreh in der Puppenwelt setzt Mattel dagegen mit der neuen Serie „Monster High“ – von der Szene her eine Art Highschool für Mutanten (von Frankensteins Tochter bis zur Teenie-Werwölfin) bilden die unförmigen Figuren einen wohltuenden Kontrast zur überperfekten Barbiewelt. Der Hintergedanke: (Prä-)pubertäre Jugendliche sollen sich mit den unperfekten Körpern der Monsterkids und ihren Geschichten besser identifizieren können. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2011)

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