Auf dem Rücken der muslimischen Bewohner Österreichs

Islamophobie ist kein Verbrechen, sondern eine Krankheit. Eine Phobie ist eine psychische Störung.

Gastkommentar

Islamophobie ist kein Verbrechen, sondern eine Krankheit. Eine Phobie ist eine psychische Störung. Thomas Kramar wiederum nutzt den Begriff Islamophobie, um islamfeindliche Stimmung zu machen und die rechten Ränder der Leserschaft zu bedienen („Islamophobie ist kein Verbrechen“, „Die Presse“ vom 2.März).

Das ist keine Krankheit, sondern ökonomisches Kalkül, das allerdings zur Phobie werden kann. In diesem Fall passiert es auf dem Rücken und auf Kosten der muslimischen Bewohner Österreichs.

Erdoğan hat polarisiert

Ob sich der türkische Regierungschef, Recep Tayyip Erdoğan, Ende Februar in Düsseldorf bei seiner Rede „im Ton, aber auch im Inhalt vergriffen“ hat, ist schwer zu beurteilen, da unterschiedliche Übersetzungen kursieren. Wie die heftigen Reaktionen zeigen, fühlen sich viele brüskiert, demnach hat er, anstatt staatsmännisch einigend zu wirken, wahlkämpferisch polarisiert.

Leider ist er in diesem Punkt auch nicht sensibler als seine europäischen Amtskollegen und berücksichtigt nicht, dass er damit jenen Unfrieden zwischen Muslimen und Christen heraufbeschwört, den er zu bekämpfen vorgibt. Bedauerlicherweise tun dies auch Kolumnisten.

...so alt wie der Koran selbst

Die Behauptung, dass sich im Islam „(noch) keine textkritische Exegese des Korans etabliert“ habe, widerlegt schon ein Blick auf ein paar Wikipedia-Einträge (z.B. „Koranexegese“ oder „Asbab al-nuzul“). Kritische Koranexegese ist die erste Wissenschaft im Islam, so alt wie der Koran selbst.

Theologengezänk gab es schon im Damaskus des 7.Jahrhunderts, die Deutungen einzelner Verse sind dabei so verschieden wie die Rechtsschulen und die Strömungen innerhalb der Religion. Da existieren ganze Bücher über einen einzigen Vers, ganz abgesehen davon, dass Ergebnisse abhängen von der methodischen Zugangsweise. Da wird jeder Satz beleuchtet und erörtert und einer philologischen, linguistischen, narratologischen, historisch/ethnologischen, legistischen Analyse unterzogen, um es unkompliziert auszudrücken.

Eine europäische Sichtweise

Arabistik, Islamwissenschaft und feministische Koranexegese haben auch nicht zur Vereinfachung von Sichtweisen beigetragen, sondern weitere hinzugefügt. Daraus ergibt sich, dass der Satz „solange nicht namhafte Vertreter dieser Religion ausdrücklich erklären, dass einschlägige Stellen ihrer Schrift nicht wörtlich zu nehmen sind“ einer europäischen Sichtweise entspricht, die der Praxis der Koranauslegung nicht gerecht wird. Was heißt bei solcher Herangehensweise „wörtlich zu nehmen“?

Und aus genau diesen Gründen ist es, ebenso wie bei der Bibel, möglich herauszulesen, was man herauslesen will und hineinzudeuten, was einem behagt. Nicht selten werfen Muslime Muslimen vor, eben dies zu tun.

Fantasievolle Islamgegner

Auch Islamgegner sind hier fantasievoll und brillieren zudem mit kreativen Übersetzungen, um ihren Standpunkt zu verstärken. Man kann fast zu jedem Sachverhalt eine Textstelle finden, die eine persönliche Auslegung vermeintlich belegt.

Der Behauptung, der Islam sei eine „Buchreligion, in deren Heiliger Schrift die Aggression gegen Anders- und Ungläubige propagiert wird“, lassen sich mehrere Koranverse entgegenhalten. Hier nur ein Beispiel: „Und hätte dein Herr es gewollt, so hätten alle, die insgesamt auf Erden sind, geglaubt. Willst du also die Menschen zwingen, Gläubige zu werden?“ (10, 99)

Ingrid Thurner ist Mitglied der Initiative Teilnehmende Medienbeobachtung (www.univie.ac.at/tmb) und Lehrbeauftragte am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Uni Wien.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.03.2011)

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