Fraktionskämpfe in Teheran Wie stark ist Ahmadinejad?

In den kommenden zwei Jahren finden im Iran Parlaments-und Präsidentschaftswahlen statt. Die politischen Lager formieren sich schon.

Gastkommentar

Bis zum Arabischen Frühling von 2011 hielt das politische System der Islamischen Republik Iran hinsichtlich Demokratie jedem Vergleich mit den autoritären Regimen der Region stand. So gab und gibt es im Iran Wahlen und eine immer noch lebhafte Presse. Das spiegelte sich in einer politischen Dynamik, die das Regime zwar nicht demokratisch, aber doch offener, jedenfalls populistischer machte.

Im Westen wurde dieser politische Prozess als ein von den Reformkräften geführter Kampf um Demokratie aufgefasst, der sich in der vermeintlichen Gegnerschaft zwischen Präsident Khatami und Revolutionsführer Khamenei manifestiert hätte, wobei der moderate Khatami „das Volk“ und der radikale Khamenei „das Regime“ vertraten. Gut möglich, dass viele Wähler der Reformkräfte vor allem jene, die für die sogenannte „grüne Bewegung“ im Jahr 2009 auf die Straße gingen, dies genauso sahen. Tatsache ist jedoch, dass sich weder Khatami noch sonst ein Politiker oder Denker der Reformkräfte gegen das System der „Herrschaft des Rechtsgelehrten“ stellte oder gar gefordert hätte, das politische System Irans auch für säkulare Parteien zu öffnen.

Damit ist der politische Prozess auf das politische Spektrum der Teheraner Islamistenszene beschränkt, das heißt, er spielt sich zwischen vier Khomeini-treuen Fraktionen in zwei politischen Lagern ab: den Reformisten, bestehend aus der Islamischen Linken und moderaten Konservativen, und den Prinzipalisten aus traditionellen Konservativen und Hisbollahis.

Wahlen in der Islamischen Republik dienen in erster Linie dazu, den Konkurrenzkampf unter den iranischen Fraktionen in gemäßigten Bahnen ablaufen zu lassen, indem man das Wahlvolk über das Ausmaß des Einflusses der verschiedenen Fraktionen entscheiden lässt. Das Ausmaß des Wahlerfolgs der Reformkräfte im Jahr 1997 drohte nun die austarierte Balance zwischen den Fraktionen zuungunsten der traditionellen Konservativen und der Hisbollahis dauerhaft zu verändern, woraufhin radikale Elemente innerhalb der Letzteren zur Gewalt griffen und durch Morde an Intellektuellen die Regierung einschüchterten.

Nach den Studentenprotesten des Jahres 1999 drohten dann sogar die Revolutionsgarden unverhohlen mit einer militärischen Intervention. Diesem Druck hielt die Khatami-Regierung im Großen und Ganzen stand. Besonnenere Politiker unter den Konservativen und den Hisbollahis forderten daher eine neue Konstituierung der reformfeindlichen Kräfte, die sich moderner als die traditionellen Konservativen und gemäßigter als die Hisbollahis gaben.

Der neue politische Rahmen wurde „Prinzipalisten“ genannt, um so einen gemeinsamen ideologischen Nenner für die beiden doch sehr unterschiedlichen Fraktionen zu finden. Für beide bedeutete dieser eine Modifizierung ihrer ideologischen Positionen: Während die Konservativen eine autoritäre Interpretation der Herrschaft des Rechtsgelehrten akzeptierten, mäßigten die Hisbollahis ihren romantisch sozialen Populismus.

Im Gegenzug dazu wurden die sozialen Frustrationen auf die Person Ali Akbar Rafsandschanis konzentriert, dem die Hisbollahis Verrat an der Revolution vorwarfen, während die Konservativen ihm weder seine Allianz mit der Islamischen Linken verzeihen konnten, noch sich mit seiner übermächtigen Position in der Wirtschaft abfinden wollten.

Bei den Präsidentschaftswahlen 2005 setzte sich mit Ahmadinejad ein Politiker aus der zweiten Reihe innerhalb der Prinzipalisten durch. Sein Populismus stabilisierte das Regime bei den religiös motivierten unteren sozialen Schichten sowie bei den Familien der Kriegsteilnehmer, die mit dem liberalen Islamismus Khatamis wenig anfangen konnten. Ahmadinejad, der einer der schwächsten Gruppen innerhalb der Prinzipalisten vorstand, musste auf Personalreserven und politische Ideen anderer Gruppen zurückgreifen, denen er im Gegenzug eine politische Bühne und Posten verschaffte.

Freilich tat er das nicht uneigennützig: so desavouierte er mit der Holocaust-Leugner-Konferenz das ihm gegenüber kritisch eingestellte außenpolitische Establishment der Islamischen Republik. In weiterer Folge entmachtete er alle Politiker der Prinzipalisten, die einen direkten Zugang zum Revolutionsführer hatten. Darunter waren nicht nur mächtige Vertreter der Konservativen, sondern auch Schwergewichte des iranischen Geheimdienstes.

Spätestens ab den Parlamentswahlen 2008 formierte sich innerhalb der Prinzipalisten Widerstand gegen die Regierung Ahmadinejad. Allerdings blieb den prinzipalistischen Gruppen keine andere Wahl, als ihn bei der Präsidentschaftswahl 2009 zu unterstützten, weil er immer noch der populärste Kandidat der Rechten war. Und offensichtlich war er auch der systematischste: Während alle anderen Gruppen die Reformisten bekämpften, konzentrierte er sich auf die Konkurrenz innerhalb des eignen Lagers und ersetzte immer mehr Politiker durch Loyalisten.

Im Laufe des Jahres 2010 verstärkten sich sowohl Ahmadinejads Einfluss auf die Bürokratie als auch der Widerstand gegen ihn. Wollten Ahmadinejad und seine Anhänger sicherstellen, dass sie nach dem Ende seiner Präsidentschaft noch eine politische Rolle spielen können, mussten sie einen potenziellen Kandidaten aufbauen. Ahmadinejad entschied sich für einen Verwandten, Esfandiar Rahim Mashai.

Mashai hatte zuvor schon den hohen Klerus gegen sich aufgebracht und den Revolutionsführer verärgert, weil auf ihn der Versuch zurückgeht, die Renaissance des iranischen Nationalismus aufzufangen und in den ideologischen Diskurs des Regimes zu integrieren, indem er von einer eigenen „Iranischen Schule des Islam“ sprach.

Zur großen Irritation der politischen Akteure des Landes, ließ Revolutionsführer Khamenei seinem Präsidenten bis zum April 2011 freie Hand. Erst im Mai, als Ahmadinejad den Minister für Nachrichtendienste absetzten wollte, wurde er gemaßregelt. Der Grund dafür lag in der Tatsache, dass Ahmadinejad versuchte, alle wirtschaftlichen Schlüsselministerien und das Geheimdienstministerium mit Loyalisten zu besetzen. Der Zeitpunkt dieser Maßregelung zeigt, wo Revolutionsführer Khamenei die Prioritäten setzt: in der Wirtschaft. Ahmadinejad wurde nämlich erst dann gemaßregelt, als ihm gelang, was bisher noch keinem Präsidenten gelungen war: die Subventionen zu streichen, ohne dass es dabei zu Ausschreitungen gekommen wäre.

Damit stellt sich nun die Frage, wie sich das Regime der Herausforderung der Parlamentswahlen 2012 und der Präsidentschaftswahlen 2013 stellen wird. Auf der prinzipalistischen Seite werden die Karten neu gemischt, allerdings haben alle potenziellen Präsidentschaftskandidaten schon Wahlen verloren, und neue Talente wurden nicht aufgebaut. Das erhöht freilich die Chance, dass Ahmadinejad und die Seinen doch noch ein politischer Zug glücken kann, der das politische Überleben seiner Anhänger sichert.

Zur Person


E-Mails an: debatte@diepresse.comWalter Posch, (45), studierte Turkologie und Islamkunde in Wien und Istanbul. Er arbeitete u.a. am Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement der Landesverteidigung in Wien. Seit 2010 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter mit Schwerpunkt Iran an der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2011)

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