Historiker: Hitler ordnete Putsch gegen Dollfuß an

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Goebbels' Tagebücher belegen eine Verstrickung Hitlers in den Putschversuch 1934. Davon ist der Wiener Historiker Kurt Bauer überzeugt. "Er kann nicht nur oberflächlich informiert gewesen sein."

Ein zentrales Ereignis der Zwischenkriegszeit muss womöglich in den Geschichtsbüchern umgeschrieben werden: Adolf Hitler soll den Juli-Putsch 1934 gegen die Dollfuß-Regierung selbst angeordnet haben und davon "nicht nur oberflächlich" informiert gewesen sein. Davon ist der Wiener Historiker Kurt Bauer überzeugt.

Am 25. Juli 1934 besetzten rund 150 SS-Angehörige das Bundeskanzleramt in Wien. Ihr Ziel: Engelbert Dollfuß' Regierung während der Ministerratssitzung zum Rücktritt zu zwingen und eine neue NS-kompatible Regierung unter Anton Rintelen einzusetzen. Dollfuß wurde bei der Aktion erschossen, der Putsch misslang dennoch: Der Kanzler hatte nach einer Warnung die Minister früher weggeschickt.

Der Juli-Putsch ist für Bauer ein zentrales Ereignis der österreichischen und deutschen Geschichte. Obwohl gut erforscht, sei eine der wichtigsten Fragen bisher aber ungeklärt geblieben: Wie es zu diesem frühen Versuch einer nationalsozialistischen Machtergreifung in Österreich kam und welche Rolle Hitler dabei gespielt hat.

Wie Bauer in einer in den "Vierteljahresheften für Zeitgeschichte" veröffentlichen Arbeit nun schreibt, fasste Hitler den Entschluss für den Putsch zur selben Zeit wie für die Ausschaltung des langjährigen Führers der Sturmabteilung (SA), Ernst Röhm . Der "Röhm-Putsch" am 30. Juni 1934, machte für Reichskanzler Hitler den Weg frei, um nach dem Tod von Paul von Hindenburg auch das Amt des Reichspräsidenten und damit alle Macht in Deutschland zu übernehmen.

"Riskanter Coup"

Und mit dem Putsch in Österreich habe sich Hitler aus einer außenpolitischen Umklammerung befreien wollen, die seine Expansionspläne zu ersticken drohte. Alles deute darauf hin, dass Hitler Mitte 1934 seine Außenpolitik durch die Aktivitäten Frankreichs "so sehr gefährdet sah, dass er glaubte, die Bedrohung nur durch einen solch riskanten Coup abwenden zu können", so Bauer.

Besonders dürften Hitler bevorstehende Besuche von Dollfuß in Italien und Frankreich beunruhigt haben, ebenso wie Spekulationen über ein Treffen zwischen dem italienischen Diktator Benito Mussolini und dem französischen Außenminister Louis Barthou. "War das nicht die Konstellation Österreich-Frankreich-Italien, die Hitler seit jeher gefürchtet hat? Eine Konstellation, die Deutschland in die außenpolitische Isolation führen konnte" so Bauer, für den es aus Sicht Hitlers in dieser Situation durchaus nahe lag, "mit Brachialgewalt eine Veränderung der Verhältnisse in Österreich zu erzwingen". Zudem sei Hitler der festen Überzeugung gewesen, dass ihm Mussolini bei einer Treffen am 14. Juni 1934 in Venedig einen "Regierungswechsel" in Österreich zugestanden habe.

Dass der Juliputsch tatsächlich von Hitler selbst angeordnet wurde, belegt der Historiker auch anhand mehrerer Einträge in Goebbels' Tagebüchern, etwa einem vom 22. Juli nach einem hochrangig besetzten Treffen mit Hitler in Bayreuth: "Sonntag: beim Führer .... Österreichische Frage. Ob es gelingt? Ich bin sehr skeptisch." Für Bauer, der "Bayreuth geradezu als Kommandozentrale des Putsches" ansieht, ist die Passage aufschlussreich: "Hitler, der Ahnungslose und angeblich von den österreichischen Nationalsozialisten hinters Licht Geführte, wie Neurath (deutscher Außenminister Konstantin von Neurath, Anm.) und Göring (Gestapo-Gründer Hermann Göring, Anm.) später dem Internationalen Gerichtshof in Nürnberg weismachen wollten, hielt demnach zwei Tage vor dem Stichtag eine hochrangige Besprechung über den geplanten Putsch ab. Das heißt, Hitler nahm die Sache sehr ernst. Bei dieser Besprechung muss er seine letzte Zustimmung zu dem Coup gegeben haben. Die Möglichkeit, dass er nur oberflächlich und nebenbei darüber informiert gewesen sein könnte, scheidet damit aus."

"Dann Sieg der Regierung. Verloren!"

Vom Tag des Putsches selbst schreibt Goebbels: "Beim Führer: Alarm aus Österreich. Bundeskanzleramt und Ravag besetzt. Großer Klamauk. Tolle Spannung. Entsetzliches Warten. Ich bleibe skeptisch ... Abwarten!" Und später: "...Dann Dollfuß tot. Dann ehrenvoller Abzug der Aufständischen. Dann Sieg der Regierung. Verloren!" Dieser "Klamauk" hat übrigens nicht nur Dollfuß das Leben gekostet, sondern weiteren rund 220 Menschen, die in Zuge von Aufständen der SA und ihrer Verbündeter in den Bundesländern in den Tagen nach dem 25. Juli 1934 getötet wurden.

(APA)

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