Der Niedergang der „gefährlichsten Website der Welt“

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Symbolbild(c) AP (Bebeto Matthews)
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Vor einem Jahr hatte die Enthüllungsplattform die Supermacht USA bloßgestellt. Heute steht WikiLeaks kurz vor dem Aus. Ursachen sind Assanges selbstherrlicher Führungsstil und die Austrocknung der Geldquellen.

Wien. Rückblick, Herbst 2010: Ein Mann, ein paar handverlesene Mitstreiter und ihre Internetplattform mit dem Namen „WikiLeaks“ versetzen die verbliebene Supermacht in größte Nervosität. In immer kürzeren Abständen haben sie geheime Dokumente aus dem inneren Machtzentrum der USA veröffentlicht. Auf die „Kriegstagebücher“ aus Afghanistan folgten jene aus dem Irak, und schon setzt Julian Assange, dessen Blondschopf um ein Haar das „Person of the year“-Cover des Magazins „Time“ geziert hätte, zu einem neuen, noch größeren Coup an: Hunderttausende Depeschen aus US-Botschaften rund um die Welt sollen an die Öffentlichkeit.

Das mächtigste Land der Welt bloßgestellt, blamiert, gedemütigt – von einem Grüppchen Netz-Aktivisten. In Zeitungen erscheinen Artikel mit Titeln wie „Die mächtigste Website der Welt“, oder „Vertrauen in die USA weltweit erschüttert“.

Ein Jahr später, Herbst 2011: In einer Pressekonferenz kündigt Assange Ende Oktober an, WikiLeaks müsse seine Aktivitäten mit Jahresende wohl einstellen. Wegen Geldmangels. In einer verzweifelten Aktion hatte man kurz zuvor einige Assange-Reliquien zur Versteigerung angeboten, natürlich nicht bei Christie's, sondern bei eBay. Ein Kaffeesäckchen, das Assange aus dem Londoner Wandsworth-Gefängnis „geschmuggelt“ hatte, wo er im Dezember 2010 kurz einsaß, war einem Bieter 320 Pfund wert, das Prunkstück, ein WikiLeaks-Laptop mit Rufpreis 6000 Pfund, wollte hingegen niemand haben.

Der größte und letzte Coup

Die Startschuss zur Enthüllung der Botschaftsdepeschen war zugleich WikiLeaks größter und letzter Coup. Seither kam nichts mehr, auch wenn Journalisten aus dem Wust von 250.000 Depeschen immer wieder interessante Details von meist allerdings sehr eingeschränkter Tragweite zutage fördern. Wenn Julian Assange im vergangenen Jahr noch Schlagzeilen machte, dann durch seine gelegentlichen Auftritte vor Gericht.

Die Gründe für WikiLeaks' Niedergang sind vielfältig: Zum einen liegen sie in der von ehemaligen Mitstreitern im freundlichsten Fall als „schwierig“ bezeichneten Persönlichkeit von Assange. Damit die Organisation hinter ihm in Ruhe arbeiten könne, sei es nötig, dass er den Blitzableiter abgebe. Mit diesem Argument hatte Assange zu Beginn seine herausgehobene Position begründet. Für die Öffentlichkeit waren WikiLeaks und Assange bald Synonyme. Für Assange offenbar auch, wie die – ihrerseits geleakte – Korrespondenz des WikiLeaks-Gründers mit „renitenten“ Mitarbeitern nahelegt.

Immer mehr Aktivisten kehrten der Plattform den Rücken, darunter Daniel Domscheit-Berg, der diesen Sommer seine eigene Plattform „OpenLeaks“ startete, und, noch wichtiger, der führende Programmierer, Deckname „Der Architekt“. Ein Hauptkritikpunkt der Aussteiger: Aus dem Anspruch, Missstände rund um die Welt und in allen Bereichen aufzudecken, sei eine Art Privatkrieg von Assange gegen die USA geworden. Domscheit-Berg griff WikiLeaks dort an, wo es inhaltlich am meisten schmerzt: Er warf der Plattform vor, die Sicherheit der Quellen nicht mehr garantieren zu können.

Mächtigsten Gegner ausgesucht

Parallel dazu wurde WikiLeaks finanziell förmlich trockengelegt: Kreditkartenfirmen und Zahlungsdienstleister weigerten sich einer nach dem anderen, Überweisungen zugunsten der Plattform anzunehmen. Als Begründung wird jeweils auf „illegale Aktivitäten“ der Plattform oder Nichteinhalten der Nutzungsbedingungen verwiesen. Assange vermutet dahinter Druck der US-Regierung, was freilich schwer zu beweisen ist. Klar ist jedenfalls, dass sich Assange den mächtigsten Gegner ausgesucht hat, den er finden konnte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2011)

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