Soll ich für Sie den kleinen Goethe mimen?

Faustisch: Anne Weber unterhält sich mit Goethes Sohn August.

Er war ein Wirrkopf, Eigenbrötler und exzessiver Alkoholiker. So sah und sieht man noch heute Goethes Sohn August. Falls man sich überhaupt daran erinnert, dass der Dichter einen Sohn gehabt hat. Seltsam, die etwas vulgäre, aber doch lebenskluge Christiane Vulpius oder Augusts Frau, die exzentrische Ottilie von Pogwisch mit ihren diversen Liebschaften, sind der Nachwelt stärker im Bewusstsein geblieben als August. Vielleicht, weil sich im Angesicht von Goethes Genie das Mittelmaß des Sohns wie ein fauler Apfel ausnimmt. Armer August! Das mag sich auch die Schriftstellerin Anne Weber gedacht haben, als sie an ihrem „bürgerlichen Puppentrauerspiel“ zu arbeiten begann.

Anne Webers „August“ ist eine Mischung aus dramatischer Prosa und Lyrik. Ein „Chor aus alten Weimarern“ kommentiert historisch bewandert das Geschehen. Sodann treten auf: Christiane, der Geheimrat Goethe und sein getreuer Eckermann, Ottilie (und einige ihrer Liebhaber), Bettine von Arnim (als rasendes Goethe-Groupie), Schillers gesitteter Sohn Ernst. Johanna Schopenhauer, des Philosophen Mutter, wird – als Goethe bei der Einführung Christianes in die Weimarer Hofgesellschaft um Johannas Unterstützung bittet – mit den bekannten Worten zitiert: „Ich denke, wenn Goethe ihr seinen Namen gibt, können wir ihr wohl eine Tasse Tee reichen.“

Natürlich betritt auch August die Bühne, er ist ja der Held des Geschehens! Doch er ist, wie nicht andres zu erwarten, starrköpfig. Er will nicht mitspielen im Stück, er will vergessen, er will einfach nur tot sein. „Jemand will meine Unruhe, jemand will, daß es nie aufhört. Jemand gönnt mir den Tod nicht. Jemand zieht die Fäden und schaut zu.“ Dieser Jemand ist die Autorin. Und so muss auch sie auf die Bühne, versucht zu besänftigen, liefert sich sodann ein Wortduell mit August, erhält von ihm ein paar Ohrfeigen. Der Autorin reicht's: „Du bist tot. Du bist hilflos. Du bist in meiner Hand. Die Toten sind den Lebenden ausgeliefert. Es gibt keine Möglichkeit zu protestieren. Es gibt keine Möglichkeit nicht mitzuspielen. Das Stück geht weiter.“

Ja, die Autorin hält die Fäden in der Hand, lässt die historischen Figuren als Puppen tanzen. Aber der Untertitel ist auch eine kleine Reminiszenz an Goethe: In seiner Jugend wurde er mit dem Faust-Stoff durch ein Puppentheater bekannt. Das Faustische an Anne Webers „August“ ist, dass er durchaus nach Höherem strebt, aber dies nur, um seinem Vater und der Weimarer Hofgesellschaft zu genügen – und um die niedere Abkunft seiner Mutter abzuschütteln. Die Latte ist zu hoch gelegt, das Scheitern erahnbar. Als August mit 40 Jahren stirbt, steht auf dem Grabstein nicht sein Name, sondern: „Goethe Filius“. Der Sohn Goethes, der Jüngere, der dem Vater voraus starb. Da nimmt es sich durchaus versöhnlich aus, dass August von Goethe wenigstens im Alkohol einen tröstenden Freund gefunden hat.

Anne Weber geht zwar spielerisch mit der Historie um, aber zugleich hat alles seinen rechten Ort. So wird der Untertitel des Buches, „Ein bürgerliches Puppentrauerspiel“, etwa an jener Stelle mit Bedeutung aufgeladen, an der Schillers Frau Charlotte wegen Christianes niederer Abstammung die Sippschaft der Vulpius' als „Gegenstände“ bezeichnet. Die Autorin kontert mit einer Passage aus Schillers bürgerlichem Trauerspiel „Kabale und Liebe“. Dort wird der Einsturz aller gesellschaftlichen Schranken gefordert. Webers Kommentar: „Auf dem Papier läßt sich manches umstürzen, was im Geiste noch lange aufrecht steht“.

„August schlägt sich mehrmals mit der Faust an die Stirn: Es muß doch etwas Brauchbares zu finden sein in diesem Behältnis. Ich kann schütteln und rütteln wie ich will, es kommt nichts raus.“ Diese Tragikomik hat schon Nestroysche Dimension. Webers „August“ berichtet auch nicht von der reinen Tristesse eines gescheiterten Lebens. Er beweist sogar Witz: „Sie sehen mich hoch erfreut, Ihnen als Goethes Sohn den herrlichen Tag zu verregnen.“ Selbst Augusts holprige Verse verraten einen Geist, der gern aufmüpfiger wäre als er sich's dann im wirklichen Leben getraut: „Soll ich für sie den Dichter spielen? / Für sie den kleinen Goethe mimen? / Da gröl ich rülps ich lieber rum / ein Viech da ist's nicht schade drum.“

Anne Werber gelingt es, sprachlich zwischen der Goethe- und der Jetztzeit problemlos zu jonglieren. Ihr Buch vermittelt durchaus Wissen, aber ist zugleich ein Stück geglückter Gegenwartsliteratur. Dies auch deswegen, weil die Autorin weder der Historie gegenüber sich ehrerbietig verhält noch modernistisch alles auf den Kopf stellt. ■



Anne Weber
August

Ein bürgerliches Puppentrauerspiel. 160 S., geb., €17,50 (S.Fischer Verlag, Frankfurt/Main)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2011)

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