„Die Warnung von Standard & Poor's ist richtig und wichtig“

(c) EPA (IAN LANGSDON)
  • Drucken

Ein Eurozonen-Finanzminister würde die globale Macht der Europäer stärken, sagt der Ökonom Guntram Wolff vom Thinktank Bruegel zur „Presse“.

Die Presse: Ist die Ankündigung der Ratingagentur Standard & Poor's, demnächst die Kreditwürdigkeit aller Euroländer zu senken, ein Wendepunkt im europäischen Schuldendrama?

Guntram Wolff: Sie ist eine Warnung an die europäischen Regierungen, dass auch alle AAA-Länder Probleme haben werden, wenn wir diese Krise nicht in den Griff bekommen – eine richtige und wichtige Warnung. Auch Deutschland wäre vom Ausbleiben einer Lösung massiv betroffen. Inwiefern das die politische Dynamik weiter beeinflusst, ist schwer zu sagen. Am Montag war die Reaktion nach dem Treffen von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy sehr positiv. Mit der Ankündigung von Standard & Poor's wird sie aber sicherlich steigen.

Haben die Märkte am Montag nicht eher wegen des Gerüchts positiv reagiert, dass die Europäische Zentralbank über den Internationalen Währungsfonds interveniert und die Eurozone stützt?

Die Hoffnung der Investoren auf eine stärkere EZB-Intervention ist sehr, sehr wichtig – aber auch die Ankündigung von Merkel und Sarkozy. Denn EZB-Präsident Mario Draghi hat ausdrücklich die stärkere Intervention der EZB daran geknüpft, dass es einen „Fiscal Compact“ gibt, also eine Einigung auf der fiskalpolitischen Seite gibt.

Wie kann das aussehen?

Die EZB möchte sehen, dass man die Gefahr des moralischen Risikos in den Griff bekommt. Wir hatten im Sommer eine traumatische Erfahrung, als die Ankündigung der EZB, mehr zu tun in Italien, schon dazu geführt hat, dass der Reformeifer der damaligen Regierung zurückgegangen ist. Das ist ein massives Trauma für die EZB, aber auch für die deutsche Politik. Darum ist es wichtig, dass man sich jetzt auf einen fiskalischen Rahmen einigt, der sehr starke Rechte zur Intervention in nationale Haushaltspolitiken vorsieht. Ob das, was von Merkel und Sarkozy am Montag diskutiert wurde, reicht, wage ich zu bezweifeln. Wir brauchen mittelfristig auf jeden Fall noch mehr Interventionsrechte – bis hin zu Vetos gegen Budgets.

Merkel sagte aber erst am Freitag im Bundestag wörtlich: „Es ist nach unserer Verfassung nicht möglich, Einnahmen und Ausgaben über eine europäische Institution kontrollieren zu lassen.“ Kann man eine Fiskalunion haben, ohne gleichzeitig gemeinsam über das Geld zu verfügen?

Stimmt. Es irritiert ein bisschen, wenn sie sagt, dass Souveränität aufgegeben werden muss, aber der Bundestag nicht in seiner Budgethoheit eingeschränkt wird. Das ist natürlich falsch. Der Bundestag wird auch in seiner Budgethoheit eingeschränkt werden müssen, weil sonst eben keine echte Souveränitätsabtretung an den Euroraum stattfindet. Zudem stellt sich die Frage: Wie viele fiskalische Ressourcen brauchen wir auf dem Niveau der Eurozone? Soll ein Eurozonen-Finanzminister, oder wie auch immer man den nennt, die Möglichkeit haben, Steuern zu erheben? Da würde ich argumentieren: Wir brauchen das – aber es wird noch nicht diskutiert. Wir sind in einer Phase, in der wegen der französischen Präsidentschaftswahl jeder Schritt zu stärkerer Souveränitätsaufgabe von Nationalstaaten politisch sehr schwer durchzusetzen ist. Insofern wird man vorerst die fiskalische Unterstützung über die EZB machen. In langen, mühsamen Verhandlungen wird man mehr und mehr Souvernitätsrechte an eine Institution der Eurozone abgeben.

Die Souveränität der Nationalstaaten wurde durch die globalisierten Finanzakteure ohnehin schon stark eingeschränkt. Wäre es sinnvoll, diesen Diskurs gegen den Strich zu bürsten und zu sagen: Es geht darum, die Souveränität der Bürger Europas dadurch wiederherzustellen, indem wir einen europäischen Handlungsrahmen schaffen?

Ja. Wir reden eigentlich über eine Einschränkung des nationalen Spielraums, die aber zu einer viel stärkeren Handlungsfähigkeit auf europäischer Ebene führt, die in einem globalen Kontext bedeutet, dass wir handlungsfähig bleiben. Wir gewinnen dadurch globale Macht. Zu wenig diskutiert wird auch, die Finanzmärkte besser in den Griff zu bekommen. Wir brauchen eine Bankenaufsicht auf Ebene der Eurozone, die es uns ermöglicht, wirksam mit dem globalen Bankensystem umzugehen.

Jürgen Habermas sagt über die Entscheidungen der Staats- und Regierungschefs: Sie seien entweder unglaubwürdig, weil ohne Folgen, oder undemokratisch, weil diese Absprachen hinter Brüsseler Polstertüren nicht parlamentarisch kontrolliert werden. Wie löst man das auf?

Die Frage der demokratischen Legitimation ist entscheidend. Wenn wir auf Ebene der Eurozone fiskalische Kompetenzen haben, dann müssen wir eine entsprechende demokratische Legitimation schaffen. Das geht nicht anders als über ein Europäisches Parlament, zusammen mit einem Europäischen Rat als Doppelkammer – ähnlich wie in den USA, wo der Senat die Bundesstaaten vertritt und das Abgeordnetenhaus die Bürger.

Zur Person

Guntram B. Wolff ist stellvertretender Leiter der Brüsseler Denkfabrik Bruegel. Der Absolvent des Studiums der Wirtschaftswissenschaften Universität Bonn arbeitete zuvor von 2008 bis 2011 in der Generaldirektion für Wirtschaft und Finanzen der Europäischen Kommission, von 2004 bis 2008 als Experte für Fiskalpolitik in der Deutschen Bundesbank sowie als Berater des Internationalen Währungsfonds. Sein jüngst erschienenes Thesenpapier zur Fiskalunion in Europa findet sich unter: www.bruegel.org

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2011)

Mehr erfahren

Merkel Sarkozy
Home

S&P lobt deutsch-französischen Krisenplan

Die Ratingagentur Standard & Poor's sagt, das eine stärkere Zusammenarbeit bei der Fiskalpolitik eine Herabstufung verhindern könnte.
senkt Ausblick fuer alle
Home

Auch Rettungsschirm EFSF droht Entzug der Bestnote

Österreich und fünf weitere AAA-Länder könnten innerhalb von 90 Tagen ihr Top-Rating verlieren. Das hätte auch Auswirkung auf die Bonität des EFSF.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.