Fiskalunion: Volksabstimmung versus Volksverstimmung

Die vor einer Woche beschlossene Fiskalunion ist mit Maßnahmen verbunden, die in demokratische Rechte des Nationalrats eingreifen.

Der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann soll sich während des EU-Gipfels („Die Presse am Sonntag“ berichtete am 11.12.) mit dem Leiter der Innenpolitik-Redaktion einer großen Tageszeitung beraten haben, also dürfte er in veritabler Erklärungsnot stecken.

Zwar werden die EU-Verträge aufgrund des Vetos Großbritanniens nicht geändert. Dennoch gibt Österreich im Rahmen der zu schaffenden Fiskalunion zur Euro-Stabilisierung wesentliche demokratische Rechte ab. Und der Bundeskanzler hat doch in seinem Brief an eben diese Tageszeitung versprochen, bei der Berührung wichtiger österreichischer Interessen das Volk abstimmen zu lassen.

Ob sich ein solches EU-Referendum zugunsten der geplanten Änderungen ausginge, ist freilich mehr als fraglich. Also was tun, um eine Volksabstimmung vermeiden zu können? Details der Einigung des Gipfels sind nicht bekannt. Gewiss ist, dass die 17 Staaten der Eurozone in der Nacht auf vergangenen Freitag beschlossen haben, in einem (neben den EU-Verträgen stehenden) völkerrechtlichen Vertrag festzulegen, dass Verstöße gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt sanktioniert werden. Der Vertrag soll im März unterzeichnet werden. Bis auf Großbritannien dürften sich alle EU-Mitgliedstaaten anschließen.

Kommission als Kontrollorgan

Die von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsidenten Nicolas Sarkozy dazu geforderte Änderung der EU-Verträge ist damit zwar vom Tisch. Dies allein reicht freilich noch nicht, um für Österreichs Kanzler Entwarnung zu geben.

Ob die EU-Verträge geändert werden oder die Fiskalunion mittels völkerrechtlichen Vertrags kommt, ändert nichts an der Beschneidung nationaler Souveränitätsrechte bei der Budgeterstellung und Haushaltsführung. Jede andere Sichtweise wäre reiner Etikettenschwindel, wenn auch sehr österreichisch.

Aber worum geht es eigentlich? Was rief die Besorgnis des Kanzlers hervor, als wortbrüchig zu gelten? Im Rahmen der neuen Stabilitätsunion sollen die Europäische Kommission und der Europäische Gerichtshof die Haushaltsführung der vertragsunterzeichnenden Staaten überwachen.

Die Kommission wird sogar einen korrigierten Haushaltsentwurf verlangen können, wenn das Budget dem Stabilitätspakt nicht entspricht. Verstöße gegen die Haushaltsdisziplin sollen automatisch in einem Defizitverfahren bestraft werden. Die Regierungschefs der Fiskalunion werden sich regelmäßig treffen, um ihre gemeinsame Haushaltspolitik zu beraten.

Das sind alles in allem Maßnahmen, die in demokratische Rechte des österreichischen Parlaments eingreifen und die man auch – selbst mit noch so schönen Worten – nicht wegreden kann, sondern über die man intensiv diskutieren sollte. Beim Budgetrecht handelt es sich um die ureigenste Funktion des Parlaments, neben dem Gesetzgebungsrecht um den Kern der hergebrachten parlamentarischen Befugnisse.

Plakativ kann es als „das in Zahlen gekleidete Arbeitsprogramm der Regierung für das laufende Finanzjahr“ oder als „Schicksalsbuch der Nationen“ bezeichnet werden. Gibt es künftig eine gemeinsame Haushaltspolitik in der Fiskalunion und können Kommission und Gerichtshof in die Erstellung und Beschlussfassung der nationalen Budgets eingreifen, trifft dies das Demokratieprinzip der österreichischen Bundesverfassung ins Mark. Denn es wird in erheblichem Ausmaß in die Funktion des Budgets als Instrument der demokratischen Legitimation eingegriffen.

Hinzu kommt, dass die Mitwirkungsrechte von National- und Bundesrat sowie den Ländern, die in den Bestimmungen zum Unionsverfassungsrecht in der Bundesverfassung festgelegt sind, in der neuen Fiskalunion nicht zur Anwendung gelangen, weil diese nicht auf den EU-Verträgen, sondern auf einem völkerrechtlichen Vertrag basieren wird.

Verdünnte Parlamentsrechte

Damit wird das Budgetrecht des Parlaments weiter verdünnt. Abgesehen von der Genehmigung des völkerrechtlichen Vertrags durch den National- und erforderlichenfalls auch den Bundesrat, wird es daher auf Verfassungsebene jedenfalls einer Begleitnovelle bedürfen, die ähnlich wie bei Beschlussfassungen auf EU-Ebene eine angemessene Mitwirkung des Parlaments bei der gemeinsamen Haushaltsführung zwischen den Mitgliedern der Fiskalunion sichert, um Defizite der demokratischen Legitimation zu beseitigen.

Zurück zur Frage der Volksabstimmung: Ob durch die Verträge zur Fiskalunion (gesamtändernd) in die Bundesverfassung eingriffen wird, hängt von ihrer konkreten Ausgestaltung ab. Und dennoch: Vorläufige Entwarnung! Eine Volksabstimmung über den Staatsvertrag darf – anders als bei einer Änderung der EU-Verträge – gar nicht stattfinden.

Verharmlosen nützt nichts

Aber damit ist der Kanzler noch nicht aus dem Schneider: Staatsverträge dürfen seit 2008 kein Verfassungsrecht schaffen bzw. ändern und schon gar nicht eine Gesamtänderung der Bundesverfassung herbeiführen. Vielmehr erfordert die Kollision der Verpflichtungen aus der Fiskalunion mit dem nationalen Verfassungsrecht die Erlassung begleitender verfassungsrechtlicher Regelungen; wären diese gesamtändernd, weil so massiv in das demokratische Prinzip eingreifend, müsste zwingend eine Volksabstimmung stattfinden. Dies deshalb, weil trotz der weitgehenden Preisgabe der Grundgesetze im Rahmen des EU-Beitritts diese in der durch den Beitritt modifizierten Form weiter gelten.

Mit dem Referendum vom 12.Juni 1994 wurde nämlich nicht über weitere Eingriffe in das Demokratieprinzip und die anderen Baugesetze abgestimmt. Würde durch die Fiskalunion das modifizierte Demokratieprinzip geändert und das parlamentarische Haushaltsrecht in einer Weise beeinträchtigt, die gesamtändernd ist, führt kein Weg an einer Volksabstimmung über die Begleitnovelle der Bundesverfassung vorbei.

Die Fiskalunion harmlos zu reden wird dann auch nichts mehr nützen. Im konkreten Fall kann also keine endgültige Entwarnung für den Kanzler gegeben werden.

Alle Macht beim Parlament

Vielleicht muss er nolens volens eine Volksabstimmung durchführen. Sonst aber liegt alle Macht bei dem vom Volk gewählten Parlament, das sich von seiner Funktion als „verlängerter Arm“ der Regierung emanzipieren und seiner Verantwortung nachkommend (immerhin geht es um seine Rechte) intensiv diskutieren sollte, wie weit es sein Budgetrecht an die Fiskalunion abgeben möchte.

Um dieser Funktion gerecht zu werden, müsste es freilich über den erforderlichen Apparat verfügen, der den Abgeordneten die Entscheidungsgrundlagen aufbereitet und ihnen die Ausübung ihrer Entscheidungsmacht praktisch erlaubt. Andernfalls bleibt die Repräsentation des Volks durch das Parlament – wie so oft – eine reine Fiktion. Aber das ist eine andere Sache...


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.12.2011)

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