Wenn der Schein die Mittel heiligt

Die Forderung aus Oberösterreich, einen „Kultusbeitrag“ für Kirchensteuer-Flüchtlinge einzuführen, ist höchst verwegen.

Als ich den Schriftsteller Michael Köhlmeier interviewte und auf seine biblischen Erzählungen ansprach, betonte er, mit Religion „absolut nichts am Hut“ zu haben: „Ich habe eine solche Distanz zum Katholizismus, dass es mir nicht einmal einfallen würde, Kritik zu üben.“ Diese Einstellung begegnet einem auf Schritt und Tritt.

Ob jemand einer Konfession (noch) angehört oder längst ausgetreten ist, die Kirche interessiert ihn nicht (mehr). Schade! Denn was wir oft nicht erfahren: Welch nachhaltigen Einfluss Religionsgemeinschaften, allen voran die römisch-katholische Kirche, auf politische Entscheidungen nehmen und welche Unsummen sie jeden Steuerzahler kosten.

Unkontrollierbare Kollekte

Die Forderung nach einem „Kultusbeitrag“ ist in höchstem Maße irreführend! Aufgrund des unzeitgemäßen Konkordats zwischen dem Vatikan und Österreich bezahlen wir ohnehin Millionenbeträge in Form gigantischer Subventionen und Sonderprivilegien, unter anderem für das kirchliche Lehramt, die Sanierung von Bauten; für Privatschulen, „Bildungshäuser“, Kirchentage und Initiativen, vor allem für die fortwährende monströse Selbstdarstellung und den feudalen Lebensstil mancher Kleriker.

Die zusätzliche (!) Kirchensteuer wurde von den Nazis eingeführt und einfach beibehalten. Zusammen mit unkontrollierbaren Kollekten, Spenden und Steuerprivilegien verfügt die Kirche – trotz scheinheiligen Jammerns über Engpässe aufgrund der Austritte und Bußzahlungen für ihre schweren Vergehen – in Wahrheit über einen immensen Reichtum, mit dem sie vor allem ihre Macht und den gesellschaftlichen Einfluss sichern und mit Mega-Events idealistische Jugendliche anlocken kann.

Nur ein kleiner Anteil wird mit lautem Getöse durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (mehr oder weniger unklaren) karitativen Zwecken zugeführt. Aber selbst dazu werden Kinder instrumentalisiert: Nicht etwa Bischöfe und Kardinäle in ihren sündteuren Verkleidungen lassen sich herab, die „Weisen aus dem Morgenland“ zu spielen. Kinder erledigen diese Bettelei – unter dem Deckmäntelchen des „Brauchtums“.

Religion ist Privatsache

Den Maulkorberlass im ORF habe ich selbst erlebt: Zum Thema „Flucht aus der Kirche“ nahm ich an der Fernsehsendung „Im Zentrum“ teil. Als ich die Frage nach der politischen Verantwortung des Staates, der die Kirche durch das Konkordat schützt und deckt, stellen wollte, vertröstete mich der Moderator Peter Pelinka auf eine „spätere Runde“ und sorgte dafür, dass sie nicht mehr angeschnitten werden konnte.

Nach der Sendung erklärte er mir freundlich, dass es in Absprache mit den Stiftungsräten unerwünscht sei, dieses Thema anzusprechen. Als öffentlich-rechtliche Anstalt sei der ORF gezwungen, kirchenfreundlich zu berichten und Österreich als „katholisches Land“ nicht infrage zu stellen.

Aber Religion ist Privatsache! Und Demokratie beruht auf keinem Mythos und keinem Glauben. Dass Politiker dies begreifen mögen, dafür kämpfen sogar Islamisten, wie der tunesische Dichter Moncef Ouhaibi, der eindringlich vor der Ausnutzung demokratischer Spielregeln für religiöse Zwecke warnte.

Engagierte Distanz fehlt

In Österreich fehlt die engagierte Distanz zu einer immer noch viel zu mächtigen Institution, die Menschenrechte – vor allem die von Frauen – verletzt. Das wird nicht ausreichend thematisiert. Eine rigide Ideologie muss immer noch von ihren Opfern, Kritikern und Gegnern mitfinanziert werden. Das ist einer Zivilgesellschaft unwürdig.

Waltraud Prothmann-Seyersbach ist Kommunikationspädagogin und freie Journalistin in Salzburg.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2012)

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