Die Lust, die Sucht, die Kraft

Ein Klimt-Denkmal sucht man nach wie vor in Wien vergeblich. Aber sonst findet sich jede Menge Memorabilien im Stadtbild. Klimts Wien: ein Wegweiser zum Klimt-Jahr.

Im Jahr 1903, als der größte Kunstskandal der Monarchie um die Klimtschen Fakultätsbilder gerade auf dem Höhepunkt war, wusste der Schriftsteller Felix Salten ganz genau: „Gustav Klimt ist ein Wiener. Sein Wienertum ist auch aus seinen Bildern deutlich zu erkennen; es spricht aus dieser ganzen, durch und durch wienerisch-anmutigen Individualität. Aber man könnte auch daraus merken, dass Klimt ein Wiener ist, weil er ja in der ganzen Welt geehrt und nur in Wien beschimpft wird.“

2012, anlässlich seines 150. Geburtstags, stellt sich die Beziehung des Künstlers und zur Stadt, in der lebte, anders dar: Ein Ausstellungsreigen in allen großen Wiener Museen feiert Klimt, der sich vom „Einsiedler von St. Veit“ (Hans Tietze) zu einem der bekanntesten Maler weltweit entwickelt hat.

Wenn Christian Nebehay, einer der verdienstvollsten Biografen Klimts, 1976 schrieb, nach Klimts Tod sei es „40 Jahre lang still um ihn geworden“, so stimmt dies aus heutiger Sicht nicht mehr ganz: Öffentliche Erinnerungszeichen finden sich schon früher. Unmittelbar nach Klimts Tod am 6.Februar 1918 setzte sich das Historische Museum für ein Ehrengrab ein, das er 1923 tatsächlich bekam. 1924 beschloss der Gemeinderat die Benennung einer Straße im 12. und 13. Bezirk zu Klimts Ehren, und 1928 veranstaltete die Secession für ihren ersten Präsidenten eine Gedächtnisausstellung. Die Post legte 1932 eine Markenserie auf, die neben Klimt Rudolf von Alt, Albin Egger-Lienz, Hans Makart, Moritz von Schwind und Ferdinand Georg Waldmüller als österreichische Malerikonen der Ersten Republik feierte.

Klimt wurde schon früh im Kontext seines spezifischen Verhältnisses zu Wien rezipiert: Der Kunsthistoriker Hans Tietze sah 1919 in Klimts Schaffen die „volle Verdichtung der Wiener Kunst“. Sein Kollege Max Eisler verknüpfte 1931 die naturräumlichen Gegebenheiten der Stadt mit der Kunstproduktion: „Die Lust am Geschmückten ist in Wien nicht bloß eine gefällige Sucht, sondern eine wesentliche Kraft, genährt von der Anmut der Landschaft, des Himmels und der Menschen. In der Kunst Klimts stellt diese natürliche Eigenschaft des Ortes mit hohem, holden Wurf sich dar.“

Selbst während des Nazi-Terrors funktionierte die Positionierung von Klimt als Wiener Talent. 1942 verfasste der Bühnenbildner und Autor Emil Pirchan die Monografie „Gustav Klimt. Ein Maler aus Wien“, in der er Makart und Klimt „als typische Österreicher“ bezeichnete, die „den vielen Vorzügen aber auch allen Fehlern des Wienertums verfallen“ waren. Davon begeistert, setzte sich Baldur von Schirach, NS-Reichsstatthalter von Wien, für eine Klimt-Ausstellung ein, die 1943 realisiert wurde. Im selben Jahr erklärte er, Wien zu einer „judenfreien Stadt“ machen zu wollen und verantwortete unzählige Deportationen. Gleichzeitig versuchte er, Wien neben Berlin als glänzende Kulturstadt zu positionieren. Er trat offiziell als Veranstalter der Klimt-Ausstellung in der Secession auf, die mit gut 24.000 Besuchen ein Publikumserfolg war.

Geburtshaus 1968 demoliert

Die hochkarätige Schau wurde nur durch schamlosen Zugriff auf jüdisches Privateigentum möglich: „Insgesamt stammte rund ein Drittel der ausgestellten Arbeiten aus enteignetem Besitz“, analysierte die Kunsthistorikerin Sophie Lillie. Die Titel jüdischer Frauenporträts wurden „neutralisiert“: Als „Damenbildnis mit Goldhintergrund“ wurde Adele Bloch-Bauers berühmtes Porträt bezeichnet. Die Schau hatte desaströse Folgen: Nach der Ausstellung auf Schloss Immendorf im Marchfeld eingelagert, wurden zehn Klimt-Gemälde sowie die drei Fakultätsbilder durch einen Brand vernichtet, den – so wird vermutet – die dort stationierten SS-Truppen im Mai 1945 legten, um zu verhindern, dass die Kulturgüter in die Hand der heranrückenden Roten Armee gelangen.

Die junge Zweiten Republik zog ihren Stolz aus ihrer barocken Vergangenheit. Erst allmählich erfuhren die Jahrzehnte um 1900 eine Neubewertung und Klimts Schaffen wissenschaftliche Aufmerksamkeit: 1962 präsentierten Belvedere und Albertina anlässlich seines 100. Geburtstages eine Klimt-Schau. 1964 widmeten sich die Wiener Festwochen dem Thema „Wien um 1900“: Klimts Schaffen wurde gewürdigt, allerdings als wienerische Reaktion auf die europäische Moderne charakterisiert.

Gerade als Klimts wissenschaftliche Entdeckung einsetzte, wurde sein Geburtshaus 1968 demoliert. Nur ein Jahr zuvor war der erste Klimt-Werkkatalog erschienen. Doch biedermeierliche und gründerzeitliche Häuser galten der sozialdemokratischen Stadtregierung als unattraktiv und mussten Neubauten weichen. An der Stelle des Geburtshauses Klimts wurde eine städtische Wohnhausanlage errichtet. Eine schlichte Gedenktafel erinnert auf dem Areal Linzer Straße 243–247 an die Geburtsstätte Klimts.

In den 1970er-Jahren setzte die Popularisierung Klimts auf Produkten der Verwertungsindustrie ein – bereits 1976 warb das Österreichische Credit-Institut auf Plakaten mit der goldenen Adele und die Wiener ÖVP 1977 unter Erhard Busek mit einem Klimt-Sujet für den „Ball der Wiener“. Die 1985 gezeigte Ausstellung „Traum und Wirklichkeit. Wien 1870–1930“ im Wiener Künstlerhaus markierte einen Wendepunkt der Selbstwahrnehmung Wiens (Heidemarie Uhl). „Wien um 1900“, und besonders die „goldenen Klimts“, galten plötzlich als „Markstein europäischer Kultur“, so Bürgermeister Helmut Zilk. Die von Robert Waissenberger, Direktor des Historischen Museums, und Hans Hollein verantwortete Schau lockte 660.000 Neugierige ins Künstlerhaus, einst Sitz der Künstlervereinigung, mit der Klimt 1897 brach, um die Secession zu gründen.

Wien hatte sich nicht selbst als Geburtsstadt der Moderne entdeckt, es verdankt seine Erfindung vor allem Carl Schorskes Publikation „Wien. Geist und Gesellschaft im Fin de Siècle“. „Unser Jugendstil hat wieder Renaissance“, wurde 1989 mit der „goldenen Adele“ als Sujet plakatiert, ein immer noch gültiger Befund: Zahllose „Wien um 1900“-Ausstellungen touren seither um die Welt. Die Ikone der Epoche wechselte allerdings den Eigentümer: Nach mehrjährigen Rechtsstreitigkeiten restituierte die Republik Österreich das Porträt der Adele schließlich an Maria Altmann. Der „Fall Bloch-Bauer“ machte paradoxerweise Klimt zu einem der teuersten Maler der Welt: Ronald S. Lauder, einst US-Botschafter in Wien, ersteigerte es 2006 um kolportierte 135 Millionen Dollar und zeigt das Porträt seither in der „Neuen Galerie“ in New York.

Eines sucht man in Wien allerdings nach wie vor vergeblich: ein Klimt-Denkmal. Zwar hatte der Bildhauer Anton Hanak Mitte der 1920er-Jahre eines entworfen, doch ausgeführt wurde es nie. Zu einem möglichen Standort meinte er: „Irgendwo – wo der Mensch träumen kann (vielleicht in Schönbrunn).“

Wer Klimts Wien abseits des medialen Rummels, der großen Ausstellungen kennenlernen möchte, startet die Expedition an der Peripherie: Im 13. und 14. Bezirk können das Areal des ehemaligen Geburtshauses, die Hermesvilla – wo ein Frühwerk zu sehen ist – und (ab Juli 2012) das letzte Atelier in der sogenannten „Klimt-Villa“ in der Feldmühlgasse abgegangen werden. Längst ein Raub der Flammen wurde die Meierei „Tivoli“ nahe Schönbrunn, wo Klimt oft frühstückte. Am Friedhof Hietzing schließlich wurde Klimt beigesetzt; trotz der Entwürfe von Josef Hoffmann behielt es bis heute seine schlichte Form. In Ober St. Veit steht die einstige Villa von Hermann Bahr, in dessen Arbeitszimmer Klimts „Nuda Veritas“ hing. Durch Anna Bahr-Mildenburg gelangte das Bild in das Österreichische Theatermuseum. Der erste Bezirk ist reich an Klimt-Werken und Erinnerungsspuren: An der Ringstraße befinden sich mit Burgtheater, Kunsthistorischem Museum und dem Palais Sturany gleich mehrere Orte früher Arbeiten, die Klimt noch gemeinsam mit Franz Matsch und seinem Bruder Ernst ausführte. Die Universität für angewandte Kunst, vormals Kunstgewerbeschule, darf sich rühmen, den beim Eintritt 14-jährigen Gustav solide ausgebildet zu haben. Die Aula der Universität Wien dagegen war Brennpunkt eines „ästhetischen Bürgerkrieges“ (Ludwig Hevesi), den Franz Matsch für sich gewann: Seine Werke verleihen bis heute akademischen Graduierungsfeiern einen feierlichen Rahmen. Die Antipoden Künstlerhaus und Secession stehen für den Streit zwischen alter und neuer Kunst, in dem Klimt eine zentrale Rolle spielte. Das Jüdische Museum beherbergte einst die Galerie Miethke, der Klimt und Wien als Ort der Verbreitung moderner Kunst viel verdankt. Die Galerie Nebehay, die Klimts Nachlass verkaufte, befand sich unweit davon im alten Hotel Bristol am Kärntner Ring.

„Heute wirst du verschachert“

Von der Inneren Stadt geht es über den Ring zur Mariahilfer Straße 1b, wo Klimts Lebensfreundin Emilie Flöge im „Casa Piccola“-Haus ihren legendären Modesalon führte. „Heute wirst du verschachert“, schrieb er an Emilie wenig charmant, als er ihr berühmtes blaues Gemälde verkaufte, das sich heute im Wien Museum befindet. Wer in die Tigergasse 38 in der Josefstadt spaziert, kann sich das Leben Mizzi Zimmermanns vorstellen, Klimts Modell und Mutter seiner beiden Söhne. Ganz in der Nähe hatte Klimt sein Atelier, in der Josefstädter Straße 21, das demoliert wurde. Heute wohnt in dem Jugendstilhaus, das dort in der Folge errichtet wurde, Bundespräsident Heinz Fischer. Einmal pro Woche gastierte Klimt in der Bartensteingasse 8 beim Sammlerehepaar August und Serena Lederer, die ihn förderten.

Draussen in Währing und Döbling stehen die Villen seiner Gönner. In der Weimarer Straße 59 wohnte Fritz Waerndorfer, der als Financier und Mitbegründer der Wiener Werkstätte und des Cabaret Fledermaus in der Kärntner Straße eine der schillerndsten Figuren unter Klimts Mäzenen war. In einem eigenen Schrank wurde Klimts tabubrechende Darstellung einer schwangeren, nackten Frau („Die Hoffnung“) aufbewahrt und nur zu besonderen Anlässen gezeigt. Auf der Hohen Warte residierten Klimts Mäzenin Sonja Knips sowie Carl Moll, Freund und Mitstreiter Klimts und Stiefvater Alma Mahlers, die Klimt den ersten Kuss ihres Lebens verdankt.

Hatte Klimt, wenn er auf Reisen war, Heimweh nach „seinem“ Wien? Offenbar. 1909 schrieb er Emilie Flöge aus Paris: „Mein Gehirn und mein Magen – beide wünschen auch schon heimzureisen und mahnen leise – Herzlichst Gustav.“ ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.01.2012)

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