Ente gegen Porsche – oder: In Daniel Glattauers Papierkorb

Lieber schreibe ich Lyrik, die allenfalls 50 Leute lesen, als das zu tun, wozu der Erfolgsautor und sein Verlag neuerdings einladen.

Unlängst hörte ich ein Referat über österreichische Gegenwartsliteratur. Die Referentin, die als Bacc. ed. demnächst das Fach Deutsch unterrichten wird, begann über das Theater zu sprechen mit: „In Wien wird gerade ,Ich war noch niemals in New York‘ gespielt.“ Als Gegenwartsprosa-Macher nannte sie Haslinger, Haas und Glattauer. Kommentar der Seminarleiterin: „Die Lesefaulen können sich den Glattauer in der Josefstadt anschauen.“

Gut, es mag jeder auf seine Fasson selig werden. Ich habe seinerzeit auch den Nordwind-Mailverkehr gehört auf Ö1 und fand ihn interessant. Aber damit hat sich mein Glattauer. Und: Lieber bin ich bis zur Pension in einer Mittel-, Haupt- oder sonstigen Schule, wo man unter von struktureller Dummheit umgebenen Kindern täglich neue Lichter entzünden kann, und schreibe Lyrik, die fünfzig Leute lesen, als das zu tun, wozu Daniel Glattauer und sein Verlag neuerdings einladen.

„Leserinnen und Leser“ werden aufgerufen, eine Geschichte einzusenden, eine schöne, skurrile. Absurde. Über die Liebe. Zwanzig Seiten. Eine Jury entscheidet. Und jetzt kommt's. Das Zuckerl. Der Siegertext wird „von Daniel Glattauer persönlich den letzten Schliff“ erhalten.

Der letzte Schliff

Ich lese das und explodiere. Beim genauen Lesen sehe ich dann: Autor/innen sind gar nicht angesprochen, sondern „Leserinnen und Leser“. Also die am Ende der Literaturkette Herumgrundelnden. Eh nicht jene, die irgendeinen Anspruch an sich selbst haben in ihrem Schreiben. Sondern die Konsument/innen, die jetzt auch mal probieren dürfen.

Nicht durchführen bis zum Schluss, gottbewahre!; nicht planen, feilen, takten, zusammenführen und dann einem professionellen Lektorat übergeben. Es geht um die, die Bücher kaufen, die dürfen sich jetzt auch nähern. Die Fans. Das Idol prüft das dann aber. Und gibt, was es noch braucht. Den letzten Schliff. Also bitte. Den letzten Schliff will ich nicht einmal von meinem Bestatter bekommen, auch wenn ich noch so tot bin.

Verhandeln auf Augenhöhe

Kann schon sein, dass meine Bücher bis zum Schluss in einem Kleinverlag erscheinen. Aber ich muss. Und ich kann. Weil „das Schreiben“ so mit mir verwachsen ist, dass etwas in mir sterben würde, ließe ich es sein. Lassen geht nicht. Und es wächst und wächst – auch verbunden mit meinen Berufen, dem Unterrichten, der Wissenschaft, alles Sprachsysteme und Reflexion.

Meine Texte vertraue ich denen an, von denen ich weiß, dass sie sie auf Augenhöhe verhandeln, in intellektueller Integrität, mit Menschenkenntnis, Rhythmus- und Formbewusstsein. Menschen, die Plot und Sprache zusammendenken können. Leuten, die vor Sprache pulsen. Ich – und viele andere – rittern nicht um die Aufmerksamkeit eines Bestsellerautors und sinken in die Knie und empfangen seine Striche wie einen Ritterschlag, einen glatten Schlag, einen Glattauerschlag. Ein Tupferl Schlag. Wir arbeiten auch so.

Übrigens kursiert dazu ein Pressefoto: Ein junger Mann liegt auf einer Couch, man sieht ihn von oben. Zur Denkblase über ihm führen zwei Häufchen zerknüllten Papiers. Die Gedankenwolke selbst ist ein mit zerknülltem, weißem Papier randvoller Papierkorb. Der, der da liegt, ist allem Anschein nach nicht Daniel Glattauer. Der lauert wahrscheinlich jenseits des Bildes und lächelt freundlich. Ist ja nicht sein Papierkorb.


Katharina Tiwald (*1979 in Wiener Neustadt) studierte Sprachwissenschaft und Russisch in Wien, Sankt Petersburg und Glasgow. Sie ist Lehrbeauftragte am Institut für Slawistik/Wien und freie Schriftstellerin.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.02.2012)

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