Justiz: „Wo, bitte, sind die Einsparungen?“

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Ministerin Karl will die Hälfte aller Bezirksgerichte schließen. Intern wurden die Pläne nicht kommuniziert – der Widerstand wächst. Ein Besuch in Bruck an der Leitha.

Bruck/Wien. Die Aussichten sind einigermaßen trist – so oder so. Gebückt sitzt der alte Mann auf einem Stuhl in einem kahlen Gang, den Stock an die Mauer gelehnt. Er wartet, bis der Richter ihn zu sich ruft. Zehn Minuten noch, vielleicht auch 15. Wird er nachsichtig mit mir sein? Oder wird er hart bleiben?

Unruhig rutscht der Mann auf dem Stuhl hin und her, dann erzählt er, das lenkt ab: aus seinem 70-jährigen Leben, von seinen Schlaganfällen (fünf waren es) und seiner Ehefrau, die Geld verspielt hat, das sie nicht hatte. Jetzt steht die Familie vor der Exekution, und der Mann will abwenden, was noch abzuwenden ist. „Warum soll ich für den Fehler meiner Frau büßen?“, fragt er. Bezirksgericht Bruck an der Leitha (NÖ), Winter 2012.

Der Andrang an diesem Amtstag ist rege, aber bewältigbar. Neun, zehn Personen pro Stunde. Am Ende werden es wieder an die 50 gewesen sein. Schulden, Rosenkriege, Unterhaltsforderungen: Es sind zwar nicht die letzten Fälle von Bruck, aber vielleicht schon die vorletzten. Denn das Bezirksgericht soll geschlossen werden – wie viele andere auch in Österreich. Ihre Zahl wird von 141 auf 68 reduziert. So will es das Steuer- und Sparpaket, so will es Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP).

Die Kriterien sind einfach und rigoros zugleich: Um bestehen zu bleiben, muss ein Bezirksgericht mindestens vier Richter haben. Bruck hat nur drei. Deshalb soll es mit Schwechat fusioniert werden, am Standort Schwechat, der 30 Kilometer entfernt liegt. Kündigungen wird es nicht geben, aber Versetzungen. Doch es gibt ein Problem. Das Gericht in Schwechat ist zu klein für neue Mitarbeiter und neue Klienten. „Wir müssten ein neues bauen“, sagt Wilhelm Tschugguel, Präsident des Landesgerichts Korneuburg, dem Bruck und Schwechat unterstellt sind. „Wo, bitte, sind denn da die Einsparungen?“

Karls optimistische Rechnung

Die Rechnung der Ministerin ist eine durchaus optimistische: Die „Gerichtsreform“ soll jährlich sechs Millionen Euro bringen. Wann der Spareffekt eintritt, vermag Karl allerdings nicht zu sagen. Denn zunächst müssen 130 Millionen investiert werden – für Um- und Neubauten, die durch die Fusionen nötig werden. „Das amortisiert sich frühestens in 22Jahren“, prognostizierte etwa Salzburgs Landeshauptfrau Gabi Burgstaller (SPÖ).

In Niederösterreich dürften 23 von 32 Bezirksgerichten geschlossen werden – sofern Erwin Pröll (ÖVP) zustimmt. Denn die Landeshauptleute haben ein Vetorecht, von dem einige auch Gebrauch machen wollen: Burgstaller etwa. Oder ihre Amtskollegen in Kärnten und Vorarlberg. Karl spielt auf Zeit und schweigt. Fragen zu den betroffenen Standorten beantwortet sie nicht – nur so viel: Das Bürgerservice werde durchwegs verbessert.

Beim Wähler in Bruck hält sich die Euphorie jedoch in Grenzen. Herr K., der nach seiner Scheidung „endlich wieder schuldenfrei“ sein will, sagt: „Jeder ist froh, wenn er nichts mit dem Gericht zu tun hat – aber wir brauchen eines. Jeder Bezirk braucht eines.“

Statistisch gesehen hat jeder Österreicher ein- bis zweimal im Leben am Bezirksgericht zu tun. Auf Scheidungsfälle trifft das nicht zu – sie kommen öfter vor. „Stellen Sie sich vor, dem Mann wurde das Auto zugesprochen“, skizziert Tschugguel einen häufigen Fall. „Wie kommt die Exfrau, die kilometerweit von der Bezirkshauptstadt entfernt wohnt, künftig nach Schwechat?“ Eine direkte Busverbindung gebe es nämlich nur von Bruck.

Es ist ein Plädoyer für eine differenzierte Vorgangsweise. Im Prinzip sei der Ansatz mit vier Richtern nicht schlecht, sagt Tschugguel. „Aber der Staat hat Fürsorgepflichten. Man muss sich anschauen, ob die Maßnahme den Menschen zumutbar ist. Und im Bezirk Bruck ist sie das nicht.“ Ähnlich argumentiert auch die Rechtsanwaltskammer: Durch die Fusionen entstünden der Bevölkerung „unzumutbar lange Anfahrtswege“. Was sie nicht dazusagt: Das gilt auch für die Anwälte.

In Bruck werden wöchentlich bis zu 40 Fälle verhandelt. Pro Richter ergibt das – laut Tschugguel – eine Auslastung von 110 Prozent. Ihrer Reputation vor Ort ist das nicht abträglich, im Gegenteil. Herr K. etwa, seit geraumer Zeit Stammgast bei Gericht, sorgt sich auch um das juristische Personal: „Die wohnen doch alle hier und müssen dann nach Schwechat auspendeln. Das sind die eigentlich Leidtragenden dieser Schließung.“

Die Richter selbst enthalten sich der Aussage. Gerichtsvorsteher Rainer Graf, ein junger Mann in Jeans und Sakko, verweist an die Pressestelle in Korneuburg, er selbst sagt kein Wort. Darf er nicht. Offiziell weiß er auch gar nichts. Denn intern wurden die Pläne nicht kommuniziert. „Wir sind auf die Medien angewiesen“, heißt es am Landesgericht.

Das S-Wort (wie Streik) nimmt noch niemand in den Mund. Die Richter warten ab und machen ihren Job – in der Hoffnung, dass alles bleibt, wie es ist. Graf öffnet die Tür, ein alter Mann spaziert in sein Büro. Es geht um ein Exekutionsverfahren, die Ehefrau hat Geld verspielt, das sie nicht hatte. Die Tür geht zu, hindurch dringen Stimmen, laut ist die eine und emotional. Es ist nicht auszuschließen, dass dieses Gespräch demnächst in Schwechat fortgesetzt werden muss.

Auf einen Blick

Das Bezirksgericht im niederösterreichischen Bruck an der Leitha (Bild) dürfte demnächst geschlossen werden – als eines von vielen in ganz Österreich. Ihre Zahl soll von 141 auf 68 reduziert werden. Die Gerichtsreform bringe sechs Millionen Euro pro Jahr, sagt Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP). Wann der Spareffekt eintritt, ist allerdings offen. Denn vorerst müssen 130 Millionen Euro für Um- und Neubauten investiert werden. Außerdem braucht Karl die Zustimmung der Landeshauptleute – sie haben ein Vetorecht. Die Verhandlungen laufen derzeit. In einigen Ländern gibt es großen Widerstand. [Clemens Fabry]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2012)

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