Griechenland: Selbstmord löst Protestwelle aus

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Tausende Menschen versammelten sich auf dem Syntagma-Platz vor dem Parlament in Athen, wo ein 77-jähriger Rentner sich wegen Schuldenproblemen erschossen hatte. Am späteren Abend eskalierte die Situation.

Athen/Wien/ag./red. „Ich habe Schulden, ich halte das nicht mehr aus“ – das sollen die letzten Worte jenes 77-jährigen Mannes gewesen sein, der sich Mittwoch am zentralen Syntagma-Platz vor dem Parlament in Athen erschossen hat. Der Vorfall löste in der griechischen Hauptstadt eine Welle des Protests aus. In der Nacht auf Donnerstag versammelten sich Tausende dort, wo der pensionierte Apotheker nur Stunden zuvor seine Verzweiflungstat begangen hatte. In Sprechchören riefen sie, es habe sich nicht um einen Freitod, sondern um einen „vom Staat verübten Mord“ gehandelt.


Am späteren Abend eskalierte die Situation: Dutzende aufgebrachte Demonstranten, unter ihnen Vermummte, warfen Steine und Brandflaschen auf die Polizei, die ihrerseits Tränengas einsetzte. Im Mantel des Toten wurde ein Abschiedsbrief gefunden, in dem er als Grund für seinen Selbstmord die Angst vor dem sozialen Abstieg wegen der Finanzkrise nannte. „Ich gehe, bevor ich meinem Kind zur Last falle und Müll suchen muss“, hatte er geschrieben. Angaben der Polizei zufolge litt der Mann zudem aber auch an einer Krebserkrankung.

Politischer Sprengstoff

Der Selbstmord des Pensionisten birgt vor dem Hintergrund der schweren Schuldenkrise und der harten Sparmaßnahmen, die die Übergangsregierung unter Lukas Papademos in den vergangenen Monaten beschließen musste, politischen Sprengstoff. In genau einem Monat finden Parlamentswahlen statt; und es ist keineswegs sicher, dass die beiden großen Parteien – die sozialistische Pasok und die konservative Nea Dimokratia – genügend Stimmen für die Bildung einer Koalition erhalten, die die von den internationalen Geldgebern geforderten Reformen unterstützt. Dies aber war eine wesentliche Voraussetzung für die Zusage des zweiten, 130 Milliarden Euro schweren Hilfspakets.

In Griechenland sollen sich nach Schätzungen von Psychiatern seit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2009 etwa 1500 Menschen das Leben genommen haben. „Aus Daten, die uns vorliegen, ist die Zahl der Suizide in den letzten drei Jahren schätzungsweise um etwa 20 Prozent gestiegen“, sagt der Psychiater Vassilis Kontaxakis. Man könne aber nicht klar definieren, inwiefern allein die Finanzkrise dafür verantwortlich sei. Gesundheitsminister Andreas Loverdos hat vor einigen Wochen sogar von 40 Prozent mehr Selbsttötungen gesprochen.

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