Champions League: Eiserne Effizienz besiegte Anmut

(c) AP (Andres Kudacki)
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Nach dem Ausscheiden der Spanier herrscht pure Fassungslosigkeit in Barcelona. Chelsea steht erstmals seit 2008 wieder im Finale und träumt vom großen Coup.

Einen Moment sah es so aus, als wäre es passiert. In der Nachspielzeit hatte das drückend überlegene Barcelona das 3:1 erzielt und zog ins Finale der Champions League ein, zum dritten Mal in vier Jahren. Für die Spanier hatte Alexis Sánchez getroffen. Aber gute 40 Meter über dem Spielfeld, auf dem oberen Rang schräg hinter jenem Tor, in das der Ball gerade gekullert war, jubelten die mitgereisten Anhänger in Blau. Der Spanier, der getroffen hatte, hieß Fernando Torres und trug das Trikot des FC Chelsea.

So mutete der Fehler auf der Anzeigetafel einige Momente nach dem entscheidenden Ausgleich, wie auch das ganze Spiel, für Barcelona wie ein schlechter Witz an. Der Ball hatte sich überwiegend rund um den Strafraum von Chelsea bewegt, im Besitz der Katalanen. Aber mit dem 2:2 übertrumpfte Chelseas Bollwerk den Spielwitz der Gastgeber. Während die „Blues“ erstmals seit 2008 wieder im Finale der Champions League stehen und nun aus einer verkorksten Saison eine Legende machen können, steckt der scheinbar übermächtige FC Barcelona in der Krise. Mit dem katalanischen Verein trägt die Stadt Trauer.

Kopfschmerzen, Wehklagen

Es sei der „tragischste Monolog von Barça“ gewesen, titelte „El País“. „Ich konnte es nicht fassen“, berichtete ein Barbesitzer im Stadtzentrum am nächsten Morgen. „Barça hatte doch alles – Ball, Chancen, die volle Unterstützung der Fans. Heute früh kam ich vor Kopfschmerzen kaum aus dem Bett.“ Die dem Klub sehr nahestehende Sporttageszeitung „Mundo Deportivo“ titelte mit Trotz: „Die Fans können stolz auf eine Mannschaft sein, die dem Gegner die Stirn geboten hat, ihrem Stil treu geblieben, und mit ihrem Fußball gefallen ist.“

Wie ein Sturz fühlte es sich am nächsten Morgen tatsächlich an. Barcelonas Anhängern wurden innerhalb von vier Tagen die Hoffnung auf die zwei wichtigsten Titel genommen. Nach der Niederlage im Clásico gegen Real Madrid ist neben der Champions League auch die Meisterschaft verloren. Da scheint das Cupfinale gegen Athletic Bilbao nur ein schwacher Trost. „Es sind die schwärzesten Tage in der Ära Guardiola“, brachte es „Mundo Deportivo“ auf den Punkt.

Schon vor dem Halbfinal-Rückspiel hatte sich Barça in einer ungewohnten Situation gefunden. Zwei Niederlagen in Folge hatte es für die „beste Mannschaft der Welt“, wie Chelseas Torschütze Fernando Torres die Katalanen bezeichnete, seit Mai 2009 nicht mehr gegeben. Drei Pleiten nacheinander reichen sogar über neun Jahre zurück. Und das Unentschieden gegen Chelsea fühlt sich für viele wie eine dritte Niederlage an. „Fußball war ungerecht in diesem Spiel“, sagte Andres Iniesta. „Wir haben das Spiel beherrscht, aber Kleinigkeiten können manchmal den Ausschlag geben.“

Guardiola war ratlos

Gegen Chelsea war es der vergebene Elfmeter von Lionel Messi. Vor der 49. Minute, als der Argentinier seinen Strafstoß an die Latte setzte, hatten sich die Gastgeber immer wieder gute Chancen erarbeitet und hätten die Begegnung längst für sich entschieden haben müssen. Doch fortan stand Chelseas Abwehr, obwohl nach einer Tätlichkeit von John Terry in Unterzahl, noch besser. Der effiziente Fußball der Londoner, die zumeist nicht einmal versuchten, nach vorne zu spielen, ließ Barcelonas schöne Spielweise alt aussehen. „Wir haben sehr gut gespielt und alles getan, was wir konnten, aber es war nicht genug“, erklärte der schockiert dreinblickende Trainer Pep Guardiola daraufhin ratlos.

Chelsea hingegen, in der Premier League nur auf Platz sechs zu finden, hat zum zweiten Mal das Finale der Champions League erreicht. Dort werden mit den gesperrten Verteidigern John Terry und Branislav Ivanovic sowie den Mittelfeldspielern Raul Meireles und Ramires allerdings einige der besten Spieler fehlen. Bei den Londonern scheint das aber im Moment niemanden zu interessieren. „Meine Spieler haben sehr hart gearbeitet. Es scheint, als würden wir immer die nötigen Reserven finden, auch wenn schon alles gegen uns steht“, erklärte Trainer Roberto Di Matteo glücklich. Im Fall des Gewinns der Königsliga hat diesem eine stolze Sonderprämie von 750.000 Pfund in Aussicht.

Als die mitgereisten Chelsea-Fans nach Abpfiff im Stadion Camp Nou verweilen mussten, ehe die Anhänger der Gastgeber die Gegend verlassen hatten, hallten vom oberen Rang schräg hinterm Tor in regelmäßigen Abständen Jubelchöre. Chelseas Kontertore wurden noch einmal gezeigt. Und daneben stand dann der wahre Endstand, 2:2.

Auf einen Blick

Chelsea erreichte erstmals seit 2008 wieder das Finale der Champions League. Die Londoner setzten sich im Halbfinale gegen den FC Barcelona durch, dem 1:0-Sieg im Hinspiel folgte am Dienstag ein überraschendes 2:2 vor über 90.000 Zuschauern im Camp Nou.

Das Endspiel 2012 findet am Samstag, 19. Mai, in der Münchner Allianz-Arena statt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2012)

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