Klagen, loben, singen

Marie-Thérèse Kerschbaumers vernetztes Buch der Freunde. Marie-Thérèse Kerschbaumer ist eine unentwegt Schaffende und – abseits aller Moden – Suchende.

Marie-Thérèse Kerschbaumer ist eine unentwegt Schaffende und – abseits aller Moden – Suchende. Ihre schriftstellerischen Nachforschungen haben durch die Jahrzehnte ihre Gefährten, die „Freunde des Orpheus“, begleitet.

Gefunden hat sie eine große Anzahl von Begleitern, die sie in 28 Essays betrachtet, lobt und weit über ihre Zeit hinaushebt. Die österreichischen Freundinnen und Freude sind beispielsweise Albert Drach, Gerhard Kofler, Alfred Noll, Julian Schutting und Elisabeth Wäger. Oder die in Frankreich verstorbene und fast vergessene Bildhauerin Gret Einberger aus Tirol, die „auf dem Friedhof von Nimes liegt. Ein weißer Stein und eine Grabplatte. Eine einsame Tote.“ Kerschbaumer beschreibt Zeitgenossen, aber auch Gefährten aus ganz anderen Stimmungen und Zeiten, so Dante Alighieri in den „Quellen der Dichtung“.

Ihre Aufsätze, entstanden zwischen 1995 und heute, sind gleichsam ein Versammlungsort von Freunden der Dichtung, wo geklagt, gelobt und gesungen wird. Die Dichterin beschreibt, was sie gesehen hat – und was sie erahnt. Ihr Stoffsind Namen und Werke. Bei Drach zeigt sie den Vorboten der sexuellen Revolution der 1960er-Jahre auf. Dem früh verstorbenen Südtiroler in Wien, GerhardKofler, „einem Liebling des Orpheus“, reicht sie ein – französisch geschriebenes (Geburtstags-)Gedicht nach.

Im Kapitel „Wer vor uns war“ spannt Kerschbaumer zwei Jahrhunderte österreichischen Schaffens zusammen, indem sie Stifter mit Trakl und mit dem Kärntner Komponisten Gerhard Lampersberg, der vor allem wegen seiner „Holzfällen“-„Freundschaft“ mit Thomas Bernhard bekannt wurde, in Verbindung setzt.

Bemerkungen zum eigenen Werk

Die Dichterin vergisst nicht auf die Frauenbewegung und widmet der Kollegin Elisabeth Wäger sowie der Malerin Linde Waber eigene Aufsätze. Umfangreich kommen im Buch jene vor, die „die Rechte studiert haben“ und schreiben können, wie etwa Drach oder der Wiener Anwalt und Autor Alfred Noll, der ein Buch über Antigone verfasst hat.

Besonders stark ist MTK in den Randbemerkungen zum eigenen Werk („Was es ist“) und in der Mauthausen-Rede aus dem Jahr 2005: „Was wir den Toten zurück- und den Kommenden zur Ehre geben können: den Versuch, mutiger zu sein als bisher, wenn es uns auch zuweilen einsam sein lässt.“

In diesen Essays verbalisiert Kerschbaumer die Resonanz in ihrem Herzen und setzt Zeichen der Freundschaft. Ihre Texte sind aus Erinnerung und Reflexion gesponnen. In der „Vorrede“ im Drach-Aufsatz erklärt sie ihren Erzählhabitus programmatisch: „Reden und schreiben über Autoren und Werke der schönen Literatur erfasst unsere Sinne, will unsere Aufmerksamkeit, fordert Respekt.“

Klar und deutlich wird ihre kompromisslose politische Haltung, wenn es darum ging, Menschenrechte, Menschenwürde sowie Demokratie einzufordern und für sie beispielhaft einzutreten. Für Marie-Thérèse Kerschbaumer ist es selbstverständlich, dass der Mensch aus Frau und Mann besteht, mag der Buchtitel auch nicht „gegendert“ sein. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2012)

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