Computerspiele: Gewalt im Kinderzimmer

Computerspiele Gewalt Kinderzimmer
Computerspiele Gewalt Kinderzimmer(c) AP (Elaine Thompson)
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Wie gefährlich sind Computerspiele wirklich? Forscher stellen die Frage, ob Computerspiele das Sozialverhalten beeinflussen - ein komplexes Thema, auf das es keine einfache Antwort gibt.

Sind Computerspiele an allem schuld?“ titelte die „Neue Züricher Zeitung“ nach dem tödlichen Amoklauf 2002 in Erfurt. Die „Berliner Zeitung“ warnte gar vor der „Wirkung brutaler Computerspiele“, die „aggressive Neigungen verstärken“. Der Amoklauf an dem Gymnasium führte zu heftigen Debatten über die Rolle von sogenannten Killerspielen bei Gewalt durch Jugendliche. Aber wie gefährlich sind Computerspiele wirklich? Besteht ein Zusammenhang zwischen dem Spielen von Ego-Shootern wie „Call of Duty“ und aggressivem, antisozialem Verhalten?

„Nein“, sagt Herbert Rosenstingl, Experte im Ministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend (BMWFJ). Die meisten jugendlichen Gewalttäter spielen zwar, aber: „Wenn drei Viertel der Jugendlichen Ego-Shooter spielen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der Amokläufer auch gespielt hat.“ Computerspiele seien sicher nicht die Ursache von Gewalt, könnten aber ein Hinweis auf Probleme sein. Die bedeutendste Ursache ist soziale Ausgrenzung.

Exzessives Spielen. Rosenstingl bekommt zahlreiche Anfragen von verzweifelten Eltern, die befürchten, dass ihre Kinder zu viel spielen. „Das Wichtigste ist nachzufragen, wo genau das Problem liegt“, sagt er. Exzessives Spielen könne Probleme verursachen, muss es aber nicht. Immerhin werde in der Pubertät vieles exzessiv betrieben, in den meisten Fällen gingen diese Phasen aber vorbei. Häufig würden die Erwachsenen überreagieren und Probleme ausmachen, bevor diese überhaupt entstehen. Um den Kontakt nicht zu verlieren, rät Rosenstingl, das Spiel als etwas wahrzunehmen, was dem Kind Freude macht – anstatt es als pure Zeitverschwendung zu degradieren.

Rosenstingl hat nicht vergessen, worum es beim Spielen eigentlich geht: „Spiel ist Ursprung kultureller Entwicklung“, zitiert er den Kulturhistoriker Johan Huizinga. „Es ist nicht notwendig, nicht richtig oder falsch. Es ist einfach.“ Schon kleine Kinder drücken gern Knöpfe, das könne man in jeder Straßenbahn, jedem Aufzug beobachten. Und sie greifen gern ein, deshalb brüllen sie auch so, wenn der Räuber Hotzenplotz das Kasperltheater betritt. Das Spielen an der Konsole bediene diese Wünsche. Am häufigsten werde Action gespielt, Buben bevorzugen „Game-Spiele“, wegen des Wettkampfs, Mädchen widmen sich eher den darstellungsorientierten Toy-Spielen. In Deutschland sind 0,9 Prozent der spielenden Bevölkerung gefährdet, 0,5 Prozent gelten als abhängig. Eine Flucht vor dem Alltag gebe es, weil Erfolgserlebnisse im Spiel leichter zu erzielen sind als im echten Leben. Rosenstingl kennt die Potenziale guter Spiele, diese seien aber „nicht der pädagogische Stein der Weisen“: Gefördert wird nur, was im jeweiligen Spiel gefordert wird.

Reale Auswirkungen im Labor.
Einen anderen Zugang hat Tobias Greitemeyer vom Institut für Psychologie der Universität Innsbruck. Er untersuchte, welche Auswirkungen unterschiedliche Computerspiele auf das Sozialverhalten haben. Greitemeyer und Rosenstingl sprachen vergangenen Mittwoch bei „Am Puls“, der Veranstaltungsreihe des Wissenschaftsfonds FWF. Dort erfuhr man, dass 99 Prozent aller amerikanischen Buben und 94 Prozent der Mädchen Computer spielen. „Nach der Grundschule hat ein amerikanisches Kind bereits 8000 Morde gesehen“, so Greitemeyer. Und: „Medienkonsum heißt Mediengewalt.“

In Experimenten mit jeweils hundert Probanden kam er zu folgendem Ergebnis: Wer gewalttätige Computerspiele spielt, neigt eher zu aggressivem Verhalten und ist weniger prosozial – und zwar mit einem Korrelationskoeffizienten von 0,2. Das sei zwar nur ein „kleiner bis mittlerer Effekt“ und nicht vergleichbar mit dem Zusammenhang zwischen starkem Rauchen und Lungenkrebs, aber statistisch relevant sei es schon, sagt Greitemeyer. Er hat es gemessen, mit Chilisauce: Die Probanden spielten entweder Boxen (gewalttätiges Spiel) oder Bowling (neutrales Spiel) auf der Wii. Nach dem Spiel durften sie einer Person so viel scharfe Chilisauce verabreichen, wie sie wollten – in dem Wissen, dass die Person Scharfes hasst. Und siehe da: Wer geboxt hatte, gab mehr Chili, neigte also eher zu dieser Form von „Gewalt“.

In Computerspielen, meint Greitemeyer, werden die Gegner nicht als menschlich wahrgenommen. Diese Dehumanisierung setzt sich dann im echten Leben fort, sekundäre Emotionen werden anderen Personen abgesprochen. Zusätzlich komme es zu einer verzerrten Wahrnehmung von Aggression, Computer spielen stumpfe ab, das habe Auswirkungen auf die Alltagsaggression: Nachdem Probanden ein gewalttätiges Spiel gespielt hatten, nahmen sie ihr eigenes (reales) Verhalten als deutlich weniger aggressiv wahr als jenes anderer. Bei diesen Experimenten gibt es allerdings methodische Probleme, vor allem, was die Interpretation der Daten betrifft: Die Studien sagen nichts über Langzeiteffekte aus. Rosenstingl weist darauf hin, dass es immer auf die Person ankommt: Jugendliche, die bereits Gewalterfahrungen gemacht haben, könnten sich von Gewaltspielen bestätigt fühlen.

Greitemeyer testete auch die Auswirkungen prosozialer Spiele, in denen der Avatar anderen helfen muss: Diese förderten die Hilfsbereitschaft auch nach dem Spiel. Um das zu testen, wurde eine Szene gestellt: Während des Experiments stürzte plötzlich der kräftige „Exfreund“ der Versuchsleiterin in den Raum und bedrohte sie. Von jenen, die sich zuvor mit einem neutralen Spiel beschäftigt hatten, reagierte jeder Fünfte, von den prosozialen Spielern intervenierte die Hälfte. Greitemeyer spricht von „deutlichen Effekten“. So könnten die negativen Effekte gewalttätiger Spiele durch den kooperativen Spielemodus aufgefangen werden: Wer nicht allein schießt, sondern im Team arbeitet, spendete bei Versuchen deutlich mehr Geld als die Ego-Shooter, und auch etwas mehr als jene, die ein neutrales Spiel gespielt hatten.

Das Problem ist, dass gewalttätige Spiele den prosozialen hinsichtlich der Grafik um Welten voraus sind. „Die Effekte prosozialer Spiele sind positiv, aber es gibt nichts auf dem Markt“, sagt Greitemeyer. Seine Versuche, die Industrie davon zu überzeugen, mehr Geld in die Herstellung „guter“ prosozialer Spiele zu stecken, stießen auf wenig Interesse.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.06.2012)

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