Späte Abtreibung: Ärzte im Dilemma

Tod im Mutterleib. Viele Gynäkologen verweigern Schwangerschaftsabbruch nach der 24. Woche. Die Mediziner fühlensich von den Folgen eines OGH-Urteils bedroht.

Wien. Sollen Ärzte einen behinderten, aber bereits eigenständig lebensfähigen Embryo im Mutterleib abtöten, wenn die werdende Mutter eine Abtreibung wünscht? Vor diesem Dilemma stehen Österreichs Gynäkologen immerhin "in einer Handvoll von Fällen", sagen Pränataldiagnostiker im Gespräch mit der "Presse" - Tendenz steigend, schätzt Johannes Huber, Gynäkologe an der Wiener Universitätsklinik für Frauenheilkunde, Theologe und Vorsitzender der Bioethikkommission des Bundeskanzlers. Geschätzte 30.000 bis 50.000 Abtreibungen gibt es jährlich, ein kleiner Teil findet wegen Behinderung statt - dieser allerdings zum größten Teil bis zur 24. Schwangerschaftswoche, solange das Kind nicht lebensfähig wäre.

Danach müssten der Embryo per Spritze im Mutterleib getötet und eine Totgeburt eingeleitet werden. Das komme in Österreich jährlich höchstens zehn Mal vor, vermuten Experten. Eine Gewissensfrage für Patientin und Arzt, für die es "keine wirkliche Lösung gibt, außer einer Aufwertung behinderten Lebens in der Gesellschaft", meint Huber.

Die Frage nach einem Schwangerschaftsabbruch nach der 24. Woche ist brisant geworden, nachdem der Oberste Gerichtshof eine Frau in ihrer Forderung nach monatlich 3700 Euro Unterhalt von ihrem Gynäkologen bestärkt hat: Weil der Arzt sie nicht ausreichend darüber informiert habe, dass ihr Kind am Down-Syndrom leiden könnte, folgte sie erst Wochen später seiner Überweisung in die Risikoambulanz.

Eine Abtreibung mit Tötung des Embryos im Mutterleib - "das würde ein Gynäkologe kaum sich und seiner Patientin antun, und das wird überhaupt erst seit drei, vier Jahren angeboten", so Wolfgang Arzt, Leiter der Gynäkologie an der Linzer Landesfrauenklinik. Die Nachfrage steige aber, sagt Huber zum "echten Dilemma" für werdende Mütter.

In der Fachgruppe gelte das Prinzip, dass man einen Abbruch bei "leichteren Fehlbildungen in den Anfängen der Schwangerschaft eher ethisch vertreten kann", sagt Peter Husslein, Vorstand der Uni-Klinik für Frauenheilkunde in Wien. Danach stehe der Arzt "bei komplexen Fehlbildungen mit sehr schlechter Prognose vor einer immens schwierigen Entscheidung". Außer der Meinung eines zweiten Pränatalmediziners solle er interdisziplinären Rat einholen. Ein typischer Fall wäre laut Husslein ein großer Neuralrohr-Defekt, bei dem das Kind querschnittsgelähmt wäre und keine Blasen- und Stuhlfunktion hätte.

Das oben genannte OGH-Urteil ist umstritten. Erstens, so Medizinrechts-Experte Andreas Kletecka, weil der OGH erstmals Ersatz für den gesamten Unterhalt und nicht bloß für den Mehrbedarf gegenüber einem gesunden Kind zuspricht. Zweitens, weil der Arzt eigentlich davon ausgehen muss, dass sich der Patient an seine Anweisungen hält. Dem OGH war aber die Aufforderung des Mediziners, "Sie gehen mir jetzt in die Risikoambulanz", nicht eindringlich genug.


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