Die Wiederkehr des russischen Kraftlackels

Die russisch-georgische Krise zeigt: Moskau will seine Nachbarn wieder fest an die Kandare nehmen.

Also, zitierte Konstantin Pulikowskij, der Chef der russischen Atomaufsichtsbehörde, vergangene Woche im "Presse"-Interview sinngemäß den niederländischen Philosophen Spinoza: Ein Stärkerer soll den Schwächeren niemals verspotten, erniedrigen, dominieren; er sollte ihn vielmehr verstehen lernen. Der General sagte dies in Richtung USA, die angeblich kein Verständnis für Nordkorea aufbrächten. Viel wichtiger freilich wäre, wenn Pulikowskij die kluge Empfehlung Spinozas seinem eigenen Präsidenten unter die Nase reiben würde. Denn was Wladimir Putin derzeit gegenüber dem kleinen Nachbarland Georgien aufführt, ist genau das, was Spinoza einst gebrandmarkt hatte: Das rüpelhafte Auftreten eines Kraftlackels, der den Schwächeren nur verspottet, erniedrigt und zu dominieren versucht.

Scheinbar hehre außenpolitische Leitlinien, die der aalglatte Außenminister Sergej Lawrow sonst auf der internationalen Bühne im tiefen Brustton predigt, gelten in der eigenen Nachbarschaft plötzlich nichts mehr. Zum Beispiel: Internationale Sanktionen gegen die nach der Atombombe gierenden Staaten Nordkorea und Iran weist Lawrow gerne mit dem Hinweis darauf zurück, dass solche Maßnahmen nur die Bevölkerung der beiden Länder, nicht aber die Eliten treffen würden.

Was aber tut Russland? Es verhängt eine regelrechte Blockade über Georgien, die der dortigen Bevölkerung möglichst weh tun soll. "Niemand darf Russland beleidigen", begründete Lawrow die Blockade. Gleichzeitig stellte er auch noch die abstruse Behauptung auf, dass Georgien in gefährlicher Weise aufrüste. Als ob die brustschwache Transkaukasus-Republik je den russischen Riesen bedrohen könnte.

Und noch so ein kurioses russisches Argument: Das Schicksal der von Georgien abtrünnigen Landesteile Abchasien und Südossetien, deren Abspaltungsbestrebungen Moskau mehr oder weniger offen unterstützt, müsse im Kontext des "Selbstbestimmungsrechts der Völker" gesehen werden, fordert Putin neuerdings. Wenn dieses Recht Moskau tatsächlich so wichtig ist, warum lässt es dann nicht ein freies und faires Referendum über die Selbstbestimmung der Tschetschenen, Inguschen oder anderer Völker des Riesenreichs abhalten?

Reden wir jetzt nicht über die Staatskunst des noch relativ jungen georgischen Staatspräsidenten Michail Saakaschwili. Georgien ist ein von der Natur reich gesegnetes Land, nur positive politische Leitfiguren hat es bis jetzt nicht sehr viele hervorgebracht. Dafür aber ein paar der brutalsten Massenmörder der Weltgeschichte.

Herr Saakaschwili ist ein eher typischer kaukasischer Heißsporn, mehr mit Temperament als mit Verstand gesegnet, der es immer wieder prächtig versteht, die Russen bis in die Haarwurzeln zu reizen. Zuletzt mit der vorübergehenden Verhaftung von vier Offizieren des russischen militärischen Geheimdienstes, die die Georgier bei ihrem "Geschäft" erwischt hatten.

Doch das ist nur, was an der Oberfläche sichtbar wird. Letztlich geht es auch im jüngsten georgisch-russischen Schlagabtausch um etwas anderes. Das unter Putin politisch-psychologisch wiedererstarkte und durch hohe Rohstoffpreise auch finanziell gut ausgestattete Russland hat sich vorgenommen, die früheren "Bruderrepubliken" aus der Sowjetzeit wieder fest an die Kandare zu nehmen.

Die Amerikaner, die nach dem 11. September 2001 in Zentralasien und in der Kaukasus-Region Fuß fassen konnten, sollen als lästiger politischer und wirtschaftlicher Konkurrent aus dem postsowjetischen Raum wieder hinausgedrängt werden. Die Nato ist ein wichtiges Instrument der US-Einflussnahme. Umso wütender wird Moskau, wenn die Nato russische Nachbarn wie die Ukraine oder Georgien enger an sich binden will. Nicht von ungefähr brach die jüngste russisch-georgische Krise aus, nachdem ein paar Tage zuvor die Nato den Georgiern einen "intensivierten Dialog" angeboten hatte.

Dass das globale Ansehen ihres geopolitischen Widersachers USA derzeit schwer ramponiert ist, stärkt derzeit die Russen zusätzlich. Wenn sich die Amerikaner heute als Weltanwalt der Menschenrechte und der Zivilgesellschaft, als Modellstaat für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit aufspielen, kostet das nach sechs Jahren George W. Bush viele in der Welt nur ein müdes Lächeln. Moskau hat das genau registriert und scheut den Versuch nicht, die Amerikaner wieder aus seiner Nachbarschaft hinauszudrängen. Washingtons Gegenwehr war dabei zuletzt nicht gerade überzeugend. 

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