Österreich, die Präsidentschaftswahl und die EU

Die Pannen und Peinlichkeiten rund um das Rennen in die Hofburg schaden dem Ansehen unseres Landes immens. Wir sollen die Wahlverschiebung auf den 4. 12. nützen, um einen Diskurs über die Zukunft zu führen.

Das, was sich rund um die Bundespräsidentenwahl 2016 an Pannen und Peinlichkeiten abgespielt hat, ist in der Geschichte der Zweiten Republik beispiellos und schadet dem Ansehen unseres Landes immens. Wieder einmal entsprechen wir dem Klischee des Operettenstaates. Aber die Dinge sind nun einmal so, wie sie sind. Hoffen wir also, dass das Innenministerium eine ordnungsgemäße Durchführung des Wahlgangs am 4. Dezember garantieren kann.

Die Tatsache, dass dieser Wahlgang nun zwei Monate später stattfinden wird, sollten wir als Chance für einen vertieften Diskurs über die Zukunft Österreichs und die Rolle unseres Landes in Europa nützen. Das hat insofern mit dieser Wahl viel zu tun, als der neue Bundespräsident in den kommenden sechs Jahren, also von 2017 bis 2023, der oberste Repräsentant der Republik ist und uns in die Zukunft führen wird.

Notwendiger Klärungsversuch

Abseits der üblichen platten Wahlslogans ergibt sich die Gelegenheit, in den mehr als zwei Monaten bis zum Wahltag eine Diskussion über die Positionierung Österreichs zu führen. Welcher der beiden Kandidaten passt zu welcher Rolle unseres Landes in der EU? Dieser Klärungsprozess, den jeder durchmachen muss, ist Voraussetzung dafür, dass man an der Wahlurne entscheiden kann, wen man sich in der Hofburg wünscht. Klarerweise wird es bei der Wahl zwischen zwei Persönlichkeiten immer nur zu einer Annäherung und kaum zu einer völligen Übereinstimmung mit den Positionen des favorisierten Kandidaten kommen.

In einer Demokratie ist natürlich auch das Nichtwählen legitim. Das nützt aber jenem Bewerber, mit dem man noch weniger als mit dem anderen übereinstimmt. Folglich hat es Sinn, vom Wahlrecht Gebrauch zu machen.

Diese Bundespräsidentenwahl ist in vielerlei Hinsicht völlig anders als die bisherigen seit 1945. Erstens, weil die eingangs erwähnten Begleitumstände (hoffentlich) singulär sind; zweitens, weil zum ersten Mal ausschließlich Bewerber zur Wahl stehen, die nicht aus den (einstigen) Großparteien, sondern aus Oppositionsparteien kommen; und drittens, weil wir in international besonders bewegten Zeiten leben, wobei sich die beiden Kandidaten innen- wie außenpolitisch mit konträren Gesellschaftsmodellen positionieren.

Der österreichische Bundespräsident hat gemäß unserer Verfassung eine relativ starke Position, die irgendwo zwischen dem (schwächeren) deutschen und (stärkeren) französischen Staatsoberhaupt liegt. Diese Feststellung beantwortet wohl bereits die gelegentlich an Stammtischen aufgeworfene Frage, ob wir überhaupt einen Bundespräsidenten brauchen.

Radikalisierung der Politik

Beim nun schon einige Monate zurückliegenden ersten Wahlgang dieser Bundespräsidentenwahl war das alles dominierende Thema die Flüchtlingswelle. Mittlerweile kommen wesentlich weniger Flüchtlinge ins Land und die Politik hat sich mehr oder weniger konsensual auf Problemlösungsmechanismen verständigt. Nicht zuletzt als Folge der Massenmigration und sozialer Verwerfungen in vielen Ländern kam es in Europa zu einer zunehmenden Radikalisierung in der Politik mit der Konsequenz, dass (bisherige) Volksparteien quasi ausbluten, weil neue Parteien (nicht nur, aber vor allem am äußersten rechten Rand) mit extremer Rhetorik unter bewusster Missachtung der Political Correctness als selbst ernannte Vertreter einer schweigenden Mehrheit punkten können.

Was wir in Österreich seit den späten 1980er-Jahren kennen, gibt es nun nahezu überall. Das hat die latente Krise der in den vergangenen beiden Jahrzehnten wohl zu rasch erweiterten EU verstärkt. Schuld an dieser Krise sind nicht die oft beschworenen Brüsseler Zentralisten, sondern nationale Egoismen der Regierungen der EU-Mitgliedstaaten, die Solidarität in vielen Fragen, nicht nur bei der Aufteilung von Flüchtlingen, vermissen lassen.

Signal nach innen und außen

So ist es nur logisch, dass Österreichs Haltung zur EU eines der Hauptthemen dieser Bundespräsidentenwahl ist. Wenngleich der Bundespräsident keine Regierungsgewalt hat, so ist es doch ein Signal nach innen und außen, wer mit welcher Einstellung zur EU in der Hofburg residiert.

Es besteht Übereinstimmung zwischen beiden Präsidentschaftskandidaten und auch zwischen allen Parlamentsparteien hinsichtlich der Notwendigkeit einer Reform der EU. Keine Übereinstimmung gibt es jedoch über die Zielsetzung einer solchen Reform.

Soll der – sicher beschwerliche – Weg einer Rückkehr zur Solidarität und eines Anstrebens neuer gemeinsamer Ziele beschritten werden? Oder wollen wir die EU auf eine reine Wirtschaftsgemeinschaft herunterfahren, was einen deutlichen Rückschritt darstellen würde, und den Nationalstaaten Priorität einräumen, was dem allerorten sprießenden Nationalismus entspräche? Das würde Europa gegenüber den USA und Asien entscheidend schwächen.

Der Nationalismus ist der logische Feind einer supranationalen Staatengemeinschaft. Das Gift des Nationalismus hat Europa furchtbare Kriege beschert. Erst nach der leidvollen Erfahrung des Zweiten Weltkriegs leben wir seit 1945, also seit 71 Jahren, infolge der Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich sowie des europäischen Integrationsprozesses, der bis in unsere Gegenwart auch stets von Rückschlägen begleitet war, in Frieden auf unserem Kontinent, sieht man von regionalen Konflikten auf dem Balkan ab.

Österreich hat von EU profitiert

Am 12. Juni 1994 sprachen sich bei einer Volksabstimmung 66,6 Prozent der Österreicher (die Wahlbeteiligung war mit 82,3 Prozent sehr hoch) für den Beitritt unseres Landes zur EU aus. In den 22 Jahren seither hat Österreich von der EU-Mitgliedschaft eindeutig profitiert.

Hugo Portisch, der sich intensiv mit der wechselvollen Geschichte unserer Republik befasst hat, meint zu Recht: „Heute erleben wir, wie rasch oft das in Europa Erreichte in den Hintergrund gedrängt wird, wie leichtfertig viele bereit wären, die europäische Gemeinschaft wieder aufzugeben, sich hinter die alten Grenzen zurückzuziehen – in der falschen Annahme, sie hätten unseren heutigen Wohlstand und unsere soziale Sicherheit, unsere wirtschaftlichen Möglichkeiten in Europa und der Welt auch ganz allein geschafft, wozu es in Wirklichkeit einer jahrzehntelangen Anstrengung Europas bedurft hat. Vor allem auch der Solidarität und der gegenseitigen Hilfe.“

Welcher der beiden Präsidentschaftskandidaten ist willens und in der Lage, Österreichs Position in Europa zu festigen und einen konstruktiven Beitrag zu einer vorwärts gerichteten Reform der EU zu leisten? Integration und nicht Desintegration braucht dieses Europa.

Der angesprochene Zukunftsdiskurs sollte für jeden Wähler Klärung bringen. Für mich jedenfalls wird die Antwort auf diese Frage das Stimmverhalten am 4. Dezember bestimmen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR



Johannes Kunz
(* 1947 in Wien), arbeitete beim Hörfunk des ORF, ehe er von 1973 bis 1980 als Pressesprecher von Bruno Kreisky ins Bundeskanzleramt wechselte. 1982 Rückkehr in den ORF, wo er von 1986 bis 1994 als Informationsintendant amtierte. Autor mehrerer Bücher zu politischen Themen und Jazzmusik. [ Fabry ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2016)

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