Der Kern geht nun aufs Ganze

Der Masterplan des Bundeskanzlers scheint es zu sein, die SPÖ in eine Entscheidungsschlacht zu führen.

Der Plan ist nicht neu, aber erfolgversprechend. Das System hat zuletzt zweimal gut funktioniert. Bürgermeister Häupl gewann die Wien-Wahl 2015, und auch Van der Bellen obsiegte in der Bundespräsidentenstichwahl, ein Jahr später. Der Trick ist die Polarisierung.

Die Spaltung der Gesellschaft in zwei Lager wird dabei in Kauf genommen – sonst wäre es kein Duell. Der Nutzen überwiegt, alles nebenbei wird ausgeschaltet. Denn wer nicht auf der richtigen Seite steht und sich gegen die „Kräfte der Finsternis“ (© Christian Kern) stemmt, darf sich nicht wundern, wenn das Licht ausginge und die FPÖ von H.-C. Strache an die Macht käme: Gut gegen Böse. Licht gegen Schatten. Kern gegen Strache.

Kerns New Deal hört auf „Das Programm für Wohlstand, Sicherheit & gute Laune“, um die Stimmen der Abstiegsängstlichen aus dem Reservoir der Wechselwähler abzufischen. Dafür würde er sich mittelfristig revanchieren, indem er diese Parteien der wankelmütigen Kräfte mitregieren ließe. Vorher wäre nur noch das Wahlrecht umzubauen.

Die Freiheitlichen müssten „all in“ gehen und der Verfassungsänderung zustimmen, bei der sie auch ohne größeren Koalitionspartner reüssieren könnten (aber dieser Partner ist außerhalb der ÖVP nicht auszumachen). Sobald dem Stimmenstärksten ein Bonus aufgepackt würde, wäre auch der Weg zu Rot-Grün, Rot-Pink oder Rot-Grün-Pink frei.

Eingespielte Administration

Eine Entscheidungswahl also, bei der es letztlich nur noch darum geht, das von vielen als das schlimmere Übel empfundene Ergebnis (zehn Prozentpunkte Vorsprung der FPÖ) abzuwenden. Vielen Protestwählern (wie auch FPÖ-Anhängern) gruselt es bei der Vorstellung, sollte Österreich durch eine polternde Krawallpartie von Radaubrüdern übernommen werden. Diese scheinen vor lauter Oppositionskraft nicht mehr gehen zu können. An die reale Macht aber wird die Opposition kaum je kommen, weil sie gegen eine eingespielte Österreich-Administration ankämpfen müsste – eine Unmöglichkeit in einem Land von großteils unkündbaren und gewerkschaftlich abgesicherten Verwaltungsbeamten. Das hätte große Verwerfungen zur Folge, vor denen sich der Österreicher am meisten fürchtet.

Sozialromantische Floskeln

In der 145 Seiten starken Bedienungsanleitung, „Plan A“ genannt, schlummert die Kern-Aussage unter einem Berg von sozialromantischen Floskeln. Auch der Noch-Koalitionspartner wird gehätschelt, weil viele ÖVP-Forderungen in dem Positionspapier angerissen werden. Reine Wohlfühlphrasen, Stichwort gute Laune. Alles andere ist Geplänkel und wird zu gegebener Zeit neu ausformuliert.

Damit hätte Kern seinen Platz in den Geschichtsbüchern als Brecher der gefühlt ewig dauernden Großkoalition zwischen Rot und Schwarz. Und der Sieger Kern würde abräumen. Nach dem Motto: „The Winner takes it all.“ Kerns Ego-Problem des Scheiterns wäre vom Tisch. Als Wahlverlierer aber müsste er sich vom politischen Spielfeld schleichen und hätte seine Bewährungsprobe nicht bestanden.

Meistertaktiker Kern hat also eine gar nicht so geheime Agenda. Und nun geht der Kern aufs Ganze. Nur einer vor ihm, Wolfgang Schüssel, war strategisch noch schlauer, als er sich als Drittplatzierter zum Kanzler krönte. Schüssel bezwang damals Viktor Klima, scheiterte aber, als er Alfred Gusenbauer, den späteren Bundeskanzler und jetzigen Kern-Berater, sträflich unterschätzte. Sieger und Besiegte: Die Geschichte hat für jeden einen Platz.

Karl Weidinger (geboren 1962) lebt als Schriftsteller und Übersetzer in Wien und im Burgenland. Sein Anliegen ist die Gesellschaftskritik.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2017)

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