Wie eine grünliche Brühe zum bekanntesten Antibiotikum wurde

Vor 80 Jahren entdeckte Alexander Fleming das Penicillin – ohne es gesucht zu haben.
Vor 80 Jahren entdeckte Alexander Fleming das Penicillin – ohne es gesucht zu haben.imago/ZUMA/Keystone
  • Drucken

Vergessene Schimmelpilze als Auslöser einer medizinischen Revolution? Wie der britische Bakteriologe Alexander Fleming zufällig das Penicillin entdeckte. Und wie sich die Armee ein Vorrecht auf das Antibiotikum sicherte.

"Manchmal findet jemand etwas, wonach er gar nicht gesucht hat." Ein Satz, der von niemand geringerem denn einem Nobelpreisträger ausgesprochen wurde. Und das, so wird erzählt, in äußert gelassenem Ton. Es handelte sich um den britischen Bakteriologen Alexander Fleming, der die Auszeichnung 1945 im Bereich Medizin erhalten hatte - und zwar für eine Entdeckung, die ihm tatsächlich zufiel: jene des Penicillin.

Es war im Jahr 1928, als der damals 47-jährige Alexander Fleming Bakterien, konkret Staphylokokken, angezüchtet hatte. Auf flachen Glasschalen, auch Petrischalen genannt, hatte er die Kulturen der Krankheitserreger platziert und die meisten davon auch entsorgt - bevor er sich in den Urlaub verabschiedete. Die meisten, aber nicht alle. Als der Bauernsohn im September in sein Laboratorium an der St. Mary’s Hospital Medical School in Paddington zurückkehrte (wo er seit 1921 stellvertretender Leiter war), fand er die Schalen samt Bakterien wieder.

Doch da war noch etwas anderes: Auf dem Nährboden waren Schimmelpilze gewachsen, sollte seine zweite Ehefrau, die griechische Ärztin Amalia Koutsouri-Vourekas später erzählen. Fleming selbst hielt in seinen Notizen fest: "Das Aussehen jenes Kulturmediums war so, daß ich dachte, die Erscheinung dürfte nicht mißachtet werden." Denn: Um den grünlichen Schimmel herum gab es keine Staphylokokken. In anderen Worten: Der Schimmel - die Pilze gehörten der Gattung penicillium notatum an - hemmten das Wachstum der Bakterien. Die Geburtsstunde des Antibiotikums Penicillin hatte geschlagen.

Versuche mit Ratten und einem Polizisten

Weitere Tests folgten, in denen der Schotte mitunter feststellte, dass Penicillin zwar etliche Bakterien abtötet, weiße Blutkörperchen hingegen verschont. Am 9. Jänner 1929 behandelte Fleming im Londoner St. Mary's-Spital erstmals seinen Assistenten Stuart Craddock mit einer Penicillin-Lösung. Grund dafür war eine Entzündung in der Nasenhöhle - doch die Behandlung blieb erfolglos. Dennoch bündelte Fleming seine Erkenntnisse in einem Artikel, den er am 10. Mai dem "British Journal of Experimental Pathology" anbot - wo er kaum Beachtung erhielt.

Ein Umstand, den der aufkommende Zweite Weltkrieg ändern sollte: 1938 stießen der australische Pathologe Howard Walter Florey und der deutsch-britische Biochemiker Ernst Boris Chain unter Mitarbeit von Norman Heatley an der Universität Oxford auf Flemings Entdeckung. Es gelang ihnen, den Wirkstoff zu isolieren und an Ratten zu testen, denen sie vorab Streptokokken (die Bakterien können Lungenentzündungen, Angina, Scharlach, Rotlauf und die Neugeborenensepsis hervorrufen) verabreicht hatten - bis auf ein Tier überlebten alle, während die Tiere, die kein Penicillin erhalten hatte, allesamt verendeten.

Pharmazeutische Produktion von Penicillin in den 1950er Jahren.
Pharmazeutische Produktion von Penicillin in den 1950er Jahren. (c) imago

1941 probierten sie die Substanz erstmals an einem Menschen aus - an dem Polizisten Albert Alexander, der als Folge einer Schnittwunde eine Blutvergiftung bekommen hatte. Das Penicillin ließ das Fieber verschwinden. Allerdings: Da den Forschern der Wirkstoff ausgegangen war, konnte die Behandlung nicht fortgesetzt werden und der Patient verstarb wenige Tage darauf. Die Schlussfolgerung der Mediziner: Das Medikament müsse länger eingenommen werden, als die Symptome auftreten.

Darauf sollte Fleming denn auch 1945 hinweisen. Als er den Nobelpreis entgegen nahm, sagte er: "Wenn du Penicillin nimmst, dann nimm genug davon." Konkret: Werde ein Antibiotikum zu kurz oder zu niedrig dosiert eingenommen, führe das dazu, dass die Bakterien, die damit abgetötet werden sollen, dagegen unempfindlich, resistent, werden.

Amerikanische Soldaten und alte Gin-Flaschen

Zuvor aber, eben in den 1940ern, reisten Florey und Heatley in die USA, wo sie für das Penicillin die Werbetrommel rührten - und beim Militär auf offene Ohren stießen, ortete man doch eine Möglichkeit, zehn-, wenn nicht hunderttausende Soldaten vor dem bakteriellen Tod zu schützen und damit länger kampftauglich zu halten. So dauerte es nicht lange, bis die Wissenschaftler den Auftrag erteilt bekamen, das neue Heilmittel - nicht selten wurde es gar als "Wundermittel" gepriesen, half es doch bei direkter Einspritzung in den Muskel auch bei Hirnhaut- und Lungenentzündungen, Sepsis, Cholera, Wundeiterung sowie Gonorrhöe - in rauen Mengen für die Armee zu produzieren.

Der zivilen Bevölkerung blieb das Mittel vorenthalten, weshalb mancher Arzt gar den Versuch wagte, es selbst herzustellen. So wird erzählt, dass ein Mediziner in der Karibik probiert habe, Penicillin in alten Gin-Flaschen zu kultivieren. Fest steht: Ab 1942 gelang die industrielle Herstellung, ab 1944 wurde das Medikament allen Bürgern zugänglich.

"Penicillin war eine der größten Entdeckungen des 20. Jahrhunderts", kommentierte der Marburger Pharmaziehistoriker Christoph Friedrich einst in der "Associated Press". "Mit dem Mittel wurde eine ganze Reihe lebensgefährlicher Infektionskrankheiten heilbar." Medizinhistoriker Christoph Gradmann bezifferte die Wirksamkeit von Penicillin schon 2003 gegenüber der Agentur folgendermaßen: "Starben früher 80 Prozent aller Patienten mit einer Lungenentzündung, hat sich die Zahl nach Einführung der Penicillin-Behandlung auf 20 Prozent verringert."

Ein Detail am Rande: Obgleich Feming, Florey und Chain 1945 den Nobelpreis erhielten, sollte es noch zwölf weitere Jahre dauern, bis die Wissenschaft erklären konnte, wie das heute weltweit bekannteste Antibiotikum konkret wirkt. So tötet Penicillin vereinfacht ausgedrückt Bakterien wie Staphylokokken oder Streptokokken deswegen ab, weil es ein Enzym hemmt, das die Keime zur Bildung ihrer Zellwand benötigen.

Zur Person

Alexander Fleming wurde am 6. August 1881 in der schottischen Gemeinde Darvel auf einem Bauernhof geboren. Nach dem Tod seines Vater zog er nach London, wo er ab 1902 Medizin an der St. Mary’s Hospital Medical School in Paddington studierte. 1906 schloss er sein Studium ab, blieb aber am Institut dessen Vize-Leiter und späterer Direktor er wurde. Von 1928 bis 1948 bekleidete Fleming an der Londoner Universität den Lehrstuhl für Bakteriologie.

Am 4. Juli 1944 wurde er als Knight Bachelor geadelt, 1945 erhielt er zusammen mit Howard Walter Florey und Ernst Boris Chain, für die "Entdeckung des Penicillins und seiner heilenden Wirkung bei verschiedenen Infektionskrankheiten" den Nobelpreis für Medizin. Außerdem war er Ehrendoktor etlicher Universitäten, Kommandeur der französischen Ehrenlegion und Ehrendirektor der Universität Edinburgh. Der Fleming Point, ein Kap auf der Brabant-Insel, und der Asteroid 91006 wurden nach ihm benannt.

Privat war Fleming zweimal verheiratet: Von 1915 bis 1949 mit Sarah Marion McElroy mit der er einen Sohn hatte. Nach dem Tod von McElroy heiratete Fleming 1953 Amalia Koutsouri-Vourekas. Alexander Fleming verstarb am 11. März 1955 in London an einem Herzinfarkt.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.