Ganzpflanzennutzung: Wie aus Abfall Genuss wurde

Marille
Marille(c) Michaela Bruckberger
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Ob als Öl, Schokolade oder Knabberzeug: Statt auf dem Müll landen Obstkerne immer häufiger in der Delikatessenabteilung. Ganzpflanzennutzung ist das Stichwort.

TIPPS

Was die Wildschweine mit den Marillenkernen gemacht haben, die von Markus Wieser haufenweise in den Wald gekippt wurden, weiß er nicht so genau, „vielleicht haben sie sich drin gewälzt, sie gefressen, was weiß ich.“ Jedenfalls war diese Form der Müllentsorgung für den Wachauer Marillenspezialisten nur möglich, solange er Bauer war. „Als ich dann für meine Marillenprodukte ein Gewerbe anmeldete, galten die Kerne plötzlich als Sondermüll.“ Der kostenpflichtig zu entsorgen war, „das war finanziell dann schon ein ganzer Urlaub, bei acht bis zehn Tonnen Kernen.“ Und justament an einem Tag, an dem wieder eine Rechnung vom Entsorgungsbetrieb kam (so will es zumindest die betriebseigene Mär), rief Franz Hartl an, seines Zeichens Hersteller von hochwertigen Speiseölen, die unter dem Label „Feine Essenzen“ vertrieben werden. Er wollte Wieser die Kerne abkaufen, die nach der Schnaps-, Saft- oder Marmeladeherstellung übrig bleiben, und sie zu Öl pressen. Wiesers Jahresabfall hätte dann gerade einmal 100 Liter Öl ergeben.

„Da hat es klick gemacht“, erzählt Markus Wieser, und schon kamen die Ideen. Die Restlverwertung wurde nicht länger an eine Müllentsorgungsfirma ausgelagert; die Marillenkerne, besser gesagt, die Marillenmandeln, verwendet er nun für die eigene Produktpalette.

Experimente.
Josef Zotter habe damals gerade mit seinen Balleros angefangen, Schokokugeln mit Innenleben. „Wir haben die Kerne dann von ihm dragieren und auch Schnapsschokos machen lassen.“ Zunächst ohne sie zu blanchieren, womit wenig später angefangen wurde. Man müsse die Kerne in einer Walzmühle aufbrechen, um die unangenehme braune Haut von den „Mandeln“ zu entfernen, nach dem Blanchieren würden sie noch geröstet. Die Kerne hat Wieser dann in Experimenten in Salzlake eingelegt, mit oder ohne Chili, hat sie mit Karamell zu Krokant verarbeitet oder in Schokolade gegossen. „So wurde aus einem Abfallprodukt ein Renner.“

Zurzeit verarbeitet er fünf bis sechs Tonnen Kerne pro Jahr, ausgelöste, wohlgemerkt, man müsse sogar zukaufen, weil die Abfälle aus der hauseigenen Produktion nicht ausreichten. Neben Marillenkernöl verkauft Wieser geröstete Marillenkerne mit Salz, weißen Marillenkernkrokant oder Milchschokolade mit Nougatcreme und gehackten Kernen. Diese Produkte seien übrigens die bestkontrollierten seines Sortiments. „Ich bekomme immer wieder Anzeigen, weil eben noch immer der Glaube herrscht, dass die Kerne giftig sind. Und schwupps – steht schon der Lebensmittelinspektor auf der Matte.“ Dabei werde beim Blanchieren ein großer Teil der Blausäure vernichtet, und vor allem verwende man nur jene Sorten, die wenig davon enthalten.

Tüfteln. Markus Wieser geht mit seinen Produkten aus veredelten Obstabfällen ein gutes Stück des Weges, den auch Hanswerner Mackwitz verfolgt. Der Chemiker leitet die „Fabrik der Zukunft“, die sich mit dem Projekt Nawaro-Cascading (kurz für nachwachsende Rohstoffe) der Ganzpflanzennutzung und somit der Frage widmet, welche Teile von Früchten, die üblicherweise entsorgt werden, für die Gastronomie weiterverwendbar sind. Und wieder ist da Sepp Zotter im Spiel: Mit ihm wurde etwa an Cherrypan getüftelt, also Marzipan aus Kirschkernmandeln, oder Prunipan aus Zwetschkenkernen. Gerade auf die Kirschkerne würde Zotter besonders stehen, berichtet Mackwitz von der Zusammenarbeit, „die sind sensorisch ein bisschen sperrig, ein bisschen schärfer, aber gerade darauf steht der Zotter.

Der kennt ja kein Pardon, wenn es darum geht, wilde Kombinationen unter die Leute zu bringen.“ Wenn man die Kirschkernmandeln in Zuckersirup koche, werde die scharfe Note aber ein wenig gedämpft, erzählt Mackwitz von den Versuchen. Karamellisiert man sie mit Zucker, lassen sie sich als Krokant in der Patisserie einsetzen. Das Kirschkernöl hingegen, das bisher erst im Kilogrammmaßstab hergestellt wird, sei blumig, fruchtig und wunderbar geeignet, damit Fisch zu beträufeln. Und besonders in Kombination mit Rosenwasser oder Orangen ein Hit.

Ergänzung.
Sein Zwetschkenkernöl schmecke nicht mandelig, sondern – Mackwitz sucht nach dem passenden Wort – „pflümlimäßig“ und passe bestens zu Kardamom und Sternanis. „Der Überhammer wäre natürlich Kernöl aus Dirndln“, sagt der Chemiker, „aber davon gibt es nur sehr wenige.“ Die Menge oder die Größe der Kerne allein kann es aber nicht sein, die ihn am Experimentieren hindern: Himbeerkernöl könnte man glatt für einen Aprilscherz halten, würde Mackwitz nicht so genau erklären können, wie man dieses herstellt, „blutrot ist das, wunderschön.“

Während dieses Elixier vorerst nicht für den Verkauf gedacht ist, bringt „Feine Essenzen“-Macher Franz Hartl Mitte November zwei neue Kernöle auf den Markt: Weichselkernöl und Tomatenkernöl, ebenfalls knallrot. „Diese Rohstoffe mögen zwar irgendwie Abfälle sein, sind aber am Weltmarkt nicht als Produkt zu bekommen und daher ziemlich wertvoll“, sagt Hartl. Die Weichselkerne bezieht er von einem Marmeladehersteller, von den Tomatenkernen berichtet er nur so viel, dass er über zwei Jahre gebraucht hat, um sich dieses Ausgangsmaterial zu sichern. Alle seine Öle werden, verstärkt von diesen zwei Neuerscheinungen, in neuem Gewand präsentiert und erweitern somit die Palette der hierzulande erhältlichen Restkernöle (im Unterschied zu solchen von Kürbis oder Sonnenblume, die nur für das Öl angebaut werden). Der Wiener Essigbrauer Gegenbauer hat schon länger ein Pflaumenkernöl im Sortiment, sortenreine Traubenkernöle sind mittlerweile gang und gäbe. 

Das Spektrum der Nutzungen ist aber bei Öl oder Krokant noch nicht zu Ende. Wenn endlich genug Sponsoren da wären, könnte Hanswerner Mackwitz die geplante Produktionsstätte bauen, die jährlich Tonnen von sonst ungenutzten Obstkernen weiterverarbeiten könnte. Und damit im großen Stil umsetzen, woran bisher im kleinen Rahmen getüftelt wird. Den Presskuchen, also das, was nach dem Pressen der Kerne übrig ist, verarbeitet man jetzt schon zu Müsliriegeln. Den getrockneten und gemahlenen Presskuchen aus Zwetschke, Kirsche oder Marille könnten Süßwarenhersteller wie Zotter als Nussersatz oder Püree verwenden und in Schokolade hüllen. Mackwitz hofft, bald richtig durchstarten zu können: mit dem ersten strahlenfreien Kernkraftwerk der Welt.

Wieser
Geröstete Salzmarillenkerne. 100 g um fünf Euro. Marillenkernkrokant Weiß. 50 g um 2,50 Euro. Milchschokolade mit Nougat und gehackten Marillenkernen. 65 g um 3,50 Euro. www.wieser-online.at

Zotter
Marillenballeros. Marillenkerne umhüllt von Marillenschokolade und in Marillenpulver gedreht. 100 g um 4,95 Euro.

Gegenbauer
Pflaumenkernöl. 250 ml um 17 Euro. www.gegenbauer.at

Feine Essenzen
Marillenkernöl. 250 ml um 14 Euro. Weichselkernöl. 100 ml um 9,80 Euro. Tomatenkernöl. 100 ml um 8,60 Euro. www.die-feinsten-essenzen.com

Fandler
Traubenkernöl Schilcher. 250 ml um 17 Euro. www.fandler.at

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