„Großer Lärm“ in Prag: Das Urteil von Franz K.

AP (LENKA-LORBERO)
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Ruhe! Franz Kafka übersiedelte in Prag oft, weil es ihm zu laut war. Dennoch ist das kein Grund, nicht immer wieder hinzufahren.

Er wollte nur seine Ruhe zum Schreiben haben. Nachbarschaftlicher Lärm zwang Franz Kafka zu rastlosen Umzugsbewegungen in der Stadt, zu der er ein gemischtes Verhältnis, diese wiederum zum Dichter lange ein verhaltenes hatte. Erst 1999 entstand in Mala Strana, auf der idyllischen Kleinseite, ein eigenes Museum, das Kafkas Werk würdigt, bespiegelt und auch für den Nicht-Leser spannend inszeniert. Jetzt ist Kafka präsent – im Spezialverlag, als Statue, als Mythos.

Die Liste seiner Wohnsitze ist lang, allerdings zog Kafka dabei enge Kreise – eine Rotationsbewegung mehr oder weniger rund um die Altstadt, das touristische Epizentrum. Es handelt sich dabei um Adressen, an denen der Flaneur meist ganz unweigerlich vorbeikommt, aber nicht immer die originalen Häuser vorfindet, in denen der Sohn mit dem übermächtigen Vater Kämpfe ausfocht, der Versicherungsbeamte Nächte über dem Papier wachte: der Altstädter Ring mit seinem beeindruckenden Häuserensemble; der Wenzelsplatz, der mehr einer langen Einkaufsstraße gleicht; die Nerudagasse; das Schönbornpalais; die Niklasstraße (heute die Nobel-Hobel-Meile Pariska), wo Kafka in einem Zuge „Das Urteil“ schrieb.

Oben auf dem Burgberg, dem Hradschin, staffeln sich winzige Häuschen zur eintrittspflichtigen Alchimistengasse. Hier hat Kafka nur kurz gewohnt, Schwester Ottla besorgte ihm das spartanische Quartier, wo der „Landarzt“ entstand. Der Dichter schreibt an seine Berliner Geliebte: „es ist etwas Besonderes, sein Haus zu haben; ... aus der Wohnungstür geradezu in den Schnee der stillen Gasse zu treten.“

Ja, mit der Stille ist es so eine Sache in einer Stadt, in der sich Touristenströme ähnlich kanalisieren wie in Venedig. Wie großartig Prag ist, merkt man daran, wie viele Eindrücke dennoch übrig bleiben, wenn man die Menschenmassen konsequent wegblendet, sich auf die Zone über der Kopfhöhe konzentriert und Hintertüren sucht. Man muss etwas um die Ecke schauen und die Sightseeingtermine antizyklisch wählen. Ein Alleingang über die Karlsbrücke: im Morgengrauen. Ein Rundgang über den Hradschin: werktags, möglichst bei Schlechtwetter. Abstecher in ein Bierlokal: Sobald die britischen Bier-Bomber weg sind.

Oft tun sich mittendrin unerwartet Ruhezonen auf, die ein wenig von der rätselhäften Atmosphäre vermitteln, die in Kafkas Werk einfloss. Der stille Kanal auf der Kampa – erreichbar mit einem Boot von der Vltava (Moldau) aus. Die Gärten, die vom Hradschin in Terrassen hinunterführen. Stadtviertel, die einen Tick zu weit liegen, ZiZkov zum Beispiel. Heute fliehen Prager, die es sich leisten können, vor Rummel, Immobilienspekulation und Parkplatznot über den Speckgürtel der Stadt hinaus. Dort draußen findet auch der Besucher Idylle und Beschaulichkeit – das zuckerlrote Schloss Troja, mehr noch: das neu restaurierte Schloss CtZnice. Man will halt nur seine Ruhe zum Genießen haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2007)

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