Quergeschrieben: Das waren keine Einzeltäter

Der Kriminalfall ÖGB zeigt eine autoritäre Organisationsform, wie sie sonst eher für Mafiagruppen und Selbstmordsekten typisch ist.

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ene (nach heutigem Geld) 70 Millionen Euro, die Ronald "Ronnie" Biggs und sei ne Kumpanen beim legendären Postraub    1963 erbeutet haben, nehmen sich hochgradig dilettantisch aus gegen die rund 3,5 Milliarden Euro, die nach derzeitigem Erkenntnisstand über einer Million ÖGB-Mitgliedern geraubt worden sind (bereits rund 3000 Euro Schaden pro Opfer also; Stand Donnerstag Abend). Gleich 50 derartige Coups hätten Biggs & Co hintereinander gelingen müssen, um sich von der Höhe der Beute her mit dem Kriminallfall ÖGB messen zu können.

Um so erstaunlicher ist angesichts dieser Dimensionen die Art und Weise, wie nun SPÖ, ÖGB - und deren publizistische Flakhelfer - die Verantwortung für diesen mit Abstand größten Raub seit '45 auf einige wenige Personen abschieben wollen. Dass der ÖGB konkursreif ist, liegt demnach etwa an " . . . Schulden, die dem ÖGB von der Bawag-Spitze und ein, zwei Gewerkschaftsbossen umgehängt wurden", wie ein Kommentator dieser Tage zu formulieren beliebte. Einige wenige Einzeltäter halt, sehr bedauerlich das, aber gegen menschliches Versagen gibt es halt leider keinen hundertprozentigen Schutz, nicht wahr?

Dass die Sozialdemokratie sich auf diese Art von Einzeltäter-Theorie klammert, ist verständlich, aber doch nur albern. Denn dass "ein, zwei Gewerkschaftsbosse" ganz alleine den Gegenwert von 50 Milliarden Schilling zum Verschwinden bringen, widerspricht jeglicher Lebenserfahrung aufs gröblichste.

Doch selbst wenn man diesem absurden Gedankengang folgt, deckt er erst recht eine zweifellos vorhandene, ganz außerordentlich problematische "Tiefenstruktur" des ÖGB auf. Denn eine Organisation, in der ein einzelner Schecks über hunderte Millionen ausstellen kann, ohne dass mehrere Augenpaare dabei kontrollieren, offenbart damit einen autoritären Charakter, geprägt durch ein Führerprinzip und die Abwesenheit von auch nur rudimentären Kontrollmechanismen.

In einer derartigen Organisation gilt Kritik als subversive Kollaboration mit dem Klassenfeind und Kadavergehorsam als klassische Karrierevoraussetzung. Dass weder Frauen noch Aufmüpfige in einer derartigen "Firma" etwas zu sagen haben, sondern nur mittelalte Männer in grauen Anzügen mit grauen Gesichtern, ist für derartige Strukturen übrigens genauso charakteristisch wie ihre latente Neigung zu Malversationen.

Üblicherweise sind so deshalb eher Mafiagruppen oder extremistische Sekten in der Wüste von Arizona organisiert; in Anbetracht der verschwundenen 3,5 Milliarden Euro überrascht freilich nicht, dass auch der ÖGB zu dieser Organisationsform griff. Was zumindest hunderten, wenn nicht tausenden Funktionären unterhalb der Spitze natürlich auch gut bekannt war. Die kennen ihren Verein ja. Dass sie alle trotzdem immerzu nur mit dem Kopf nickten, anstatt das zu ändern, macht sie spätestens seit 1985, als die extremen Risken in der Bawag publik wurden, zu Mittätern und Mitverantwortlichen.

Nicht "ein, zwei Gewerkschaftsbosse" sind letztlich verantwortlich, sondern alle jene, die sie gewähren ließen, um ihre eigenen kleinen Karrieren nicht zu gefährden.

Christian Ortner ist Journalist in Wien.

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