Quergeschrieben: Kauft in Kuba statt beim Juden . . .

Antisemiten und Antiamerikaner werden Ariel Sharon schmerzhaft vermissen.

D
ass der von einem Schlaganfall hinge streckte Premierminister Ariel Sharon den meisten Israelis fehlen wird, ist eher leicht zu begreifen, wenn man nur will: Indem er einerseits Israel durch eine hohe Mauer von den Gebieten der Palästinenser trennte und andererseits die Auftraggeber des palästinensischen Terrors (zeitweise) gezielt liquidieren ließ, ermöglichte es der bullige Regierungschef seinen Landsleuten schlicht und ergreifend, am Abend wieder in ein Café zu gehen oder ihre Kinder in die Schule zu schicken, ohne dabei mit ein bisschen Pech von einem verrückten Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt zu werden. Das Ergebnis: Seit Sharon mit Mauerbau und Kampfhubschraubern gegen den Palästinenserterror vorgeht, hat sich die Anzahl der im Zuge der so genannten "2. Intifada" ermordeten israelischen Zivilisten von mehreren Hundert auf eine Handvoll pro Jahr reduziert.

Doch Sharon wird auch in Europa eine riesige Lücke hinterlassen, die nicht ganz so offensichtlich ist. Denn wie kein zweiter befriedigte der Premier aufgrund seiner recht robusten Politik gegenüber dem palästinensischen Terror ein in Europa - und ganz besonders in Deutschland und Österreich - weit verbreitete Bedürfnis: jenes nach einem wirklich bösen, bösen Israeli (sprich, aber so sagt man das ja nicht: Juden).

So einen können antiamerikanisch-globalisierungsfeindliche Linke genauso gut für ihre Zwecke gebrauchen wie ewiggestrige nationale Rechte: letztere, weil in ihrem krausen Kalkül die Juden, wenn sie die Nazis der Palästinenser werden, damit implizit die Gräuel der Nazis an den Juden relativieren; erstere, weil ihrem nicht minder krausem Kalkül zufolge die Amerikaner zu Komplizen dieser jüdischen Nazis werden, wenn sie Verbündete Israels sind.

Dass dergleichen politische Logik nicht Privileg einer kleinen, aber heftig durchgeknallten Minderheit ist, sondern tief in den politischen europäischen Mainstream hineinreicht, hat erst wenige Tage vor Sharons Schlaganfall die sozialistische norwegische Finanzministerin Kristin Halvorsen geradezu beispielhaft demonstriert. Sie persönlich, gab die Dame in einem bemerkenswerten Interview bekannt, lehne es strikt ab, für ihren eigenen häuslichen Bedarf Waren aus Israel zu kaufen - etwa Orangen - und befürworte im Übrigen, dass auch der norwegische Staat insgesamt einen wirtschaftlichen Boykott gegen Produkte "Made in Israel" verhänge. (Die norwegische Provinz Süd-Tröndelag mit 270.000 Einwohnern hat diesen Vorschlag übrigens in die Tat umgesetzt.)

Früher hat, was Frau Halvorsen fordert, noch herzhaft "Kauft nicht beim Juden" geheißen; aber jetzt gibt es ja zum Glück Israel. Begründet hat die Finanzministerin des skandinavischen Öllandes ihren Boykott israelischer Südfrüchte naturgemäß mit der inhumanen Haltung Sharons gegenüber den Palästinensern.

Dankenswerterweise hat sie uns auch wissen lassen, woher sie jetzt ihre Orangen bezieht: aus dem bekannt penibel die Menschenrechte achtenden, zutiefst demokratischen und dem politischen Pluralismus verpflichteten Kuba Fidel Castros.

Christian Ortner ist Journalist in Wien.

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