Quergeschrieben: War Gehrer doch besser als ihr Ruf?

Eine neue europäische Studie bescheinigt Österreichs Bildungssystem jedenfalls ganz bemerkenswerte Qualitäten.

Dass Elisabeth "Liesl" Gehrer ihren Abschied aus der Politik erst nach und nicht vor der Wahl erklärt hat, dürfte nach Meinung der meisten Deutungskundigen einer der Gründe für die Schlappe der Schwarzen bei der Nationalratswahl gewesen sein. Bis tief in bürgerliche Milieus hinein galt Schüssels wenig urbane Bildungsministerin als schieres Desaster, ihre Beliebtheit lag am Schluss ihrer Karriere dementsprechend irgendwo zwischen jener von Herrn Elsner und jener von Herrn Priklopil.

Umso erstaunlicher ist, was der "Economist" jüngst zu Tage förderte. Auf einer ganzen Seite widmete sich das angesehene Magazin der nicht unwichtigen Frage, welches EU-Land ". . . am besten ist im Fördern und Nutzen des Wissens und der Fähigkeiten (seiner Bevölkerung)" und damit künftig "am wirtschaftlich erfolgreichsten sein wird".

Als Basis dienten dabei zwei neue Studien, die aus dem Aufwand für Wissenschaft und Forschung, für Schulen und Unis, der beruflichen Weiterbildung, aber auch der Effizienz des Arbeitsmarktes, diese menschlichen Ressourcen zu nutzen, erstmals europaweit so etwas wie die "wissensbasierte Wettbewerbsfähigkeit" eines Landes vermessen; Schul- und Hochschulbildung also einbetten in die Rahmenbedingungen eines Staates, dieses Know-how auch so gut wie möglich zu nützen (Quelle: Uni Friedrichshafen).

Erstaunlicher Schluss des "Economist": "Die europäischen Länder bilden drei Gruppen: die Vorzugsschüler (Schweden, Dänemark, Großbritannien, Österreich, Holland); die Mittelmäßigen (Finnland, Irland, Frankreich, Belgien); und schließlich die Sitzenbleiber (Spanien, Portugal, seltsamerweise Deutschland, und ganz am Schluss Italien)."

Das überrascht zwar den "Economist" nicht besonders, weil er in diesem Kontext "Österreich zusammen mit den Skandinaviern und Großbritannien" in jener kleinen Gruppe europäischer Staaten verortet, die "wirtschaftlich erfolgreich" sind.

Uns hingegen überrascht doch ein wenig, dass Österreichs Bildungswesen offenkundig in einem so deplorablen Zustand ist, dass das Land vom gehrermäßig ganz gewiss völlig interessenlosen "Economist" mit der Bezeichnung "Vorzugsschüler" bedacht wird und daher in die Gruppe jener Staaten eingereiht wird, die in der künftigen wissensbasierten globalen Ökonomie "wirtschaftlich am erfolgreichsten" sein werden.

Das deckt sich eigentlich nicht ganz mit dem hierzulande auch von den Medien (und, no na, der SPÖ) permanent transportierten Befund, Österreichs Bildungssystem sei, natürlich besonders in den Gehrer-Jahren, vollkommen gegen die Wand gefahren worden.

Gewiss, derartige Studien sind grundsätzlich mit einer gewissen Skepsis zu lesen. Gewiss, gerade diese Studie bewertet ausdrücklich mehr als nur das Bildungssystem. Gewiss, Gehrer hat ganz evidente Fehler gemacht. Und trotzdem drängt sich angesichts des nun vom "Economist" publizierten Befundes der Verdacht auf, dass im Falle Gehrer das Fallbeil der veröffentlichen Meinung schneller nach unten sauste, als es der Sachlage angemessen gewesen wäre.

Was in diesem Falle freilich zweifellos Berufsrisiko ist.

Christian Ortner ist Journalist in Wien.

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